Sports & Politics

Style PASS hat sich den "Glücksspielatlas" angesehen

Wie groß ist das Problem?

Ab und zu mal zu auf seinen Lieblingsclub wetten oder auf einem Lottoschein die Geburtstage seiner Lieben ankreuzen - was kann daran schon problematisch sein?
Mehrfach hat Style PASS zu Sportwetten und Glücksspiel berichtet - nun haben wir nachgefragt, wie viele Süchtigen es eigentlich gibt?

Einfache Frage, schwierige Antwort?

Nach dem "Glücksspielatlas 2023", der in diesem Jahr zum ersten Mal von der Bundesregierung in dieser Form in Auftrag gegeben wurde, wird von 2,3 Prozent Menschen mit einer Glücksspielsucht gesprochen - das entspricht immerhin 1,9 Millionen deutschen Bürger*innen.

Zahl der Süchtigen sprunghaft gestiegen - ist hierfür ein "Bias" verantwortlich?

Komisch nur, dass vor dem "Glücksspielatlas" die Zahl der Süchtigen bei einer ebenfalls repräsentativen Studie bei lediglich 0,3 Prozent lag. Statistiker sprechen da gerne von einem so genannten "Bias": Durch eine Veränderungen im Studiendesign bekommt man am Ende zu ein und demselben Thema unterschiedliche Zahlen heraus. In diesem Fall wäre es beispielsweise vorstellbar, dass der Sachverhalt "Spielsucht" anders operationalisiert wurde, also andere Fragen gestellt wurden, woran man eine Sucht fest macht - die "Latte" also, ab wann man als glücksspielsüchtig gilt, niedriger gelegt wurde.

Style PASS fragt deshalb per Mail bei dem Studienleiter des Glücksspielatlas Prof. Dr. Hans-Jürgen Rumpf, Lübeck, nach, ob er einen "Bias" für möglich hält - und wir bekommen leider keine Antwort.

In der Sportwettenszene hört Style PASS dazu:

"Wenn ich heute einen Tisch zwei mal messe und er ist einmal 1,2 Meter und mit einem anderen Maßband ist er 1,6 Meter lang - dann sollte ich mir überlegen, ob eine der Messungen ein inhärentes Problem hatte, anstatt zu behaupten, der Tisch sei 1,4 Meter lang."

Die Verärgerung um die gestiegenen Zahlen ist insbesondere bei dem einen oder anderen Glücksspielanbieter spürbar, schließlich schießt insbesondere die Politik gerne gegen private Glücksspielanbieter - zugunsten der staatlichen Lotterien. So auch Burkhard Blienert, als Style PASS den Drogenbeauftragten der Bundesregierung befragt, der sagt: "Auch Lotto birgt Risiken, aber bei Online-Casinos, Live-Sportwetten und Spielautomaten und Spielhallen und Gaststätten etwa sind die Suchtrisiken um ein mehrfaches höher."
Der Glücksspielatlas schreibt hierzu: "Lotto '6aus49' ist ein Glücksspiel mit niedriger Ereignisfrequenz bei dem also eine langsame Spielabfolge und eine zeitlich verzögerte Gewinnauszahlung bestehen. Vergleichsweise gering fallen die mit diesem Angebot einhergehenden Suchtgefahren aus:"

Das klingt schon ein wenig nach Lobbyismus der Studienautoren zugunsten des staatlichen Glücksspiels: Denn von Lotto profitiert, auch aufgrund niedrigerer Auszahlungsquoten als bei privaten Anbietern erstmal Vater Staat. Vom Psychologischen her kann Lotto natürlich ebenfalls abhängig machen, schließlich tippen viele Menschen gerne auf emotional besetzte Zahlen, wie die Geburtstage von Familienmitgliedern, was ein regelmäßiges Tippen obligatorisch macht. Und wer sich einmal einen Wettschein angesehen hat, wird bemerken, dass das Layout darauf ausgelegt ist, möglichst viele Wettkästchen unterzubringen - die Verführung, möglichst viele Kombinationen anzukreuzen, um die individuelle Gewinnchance zu erhöhen, wird dadurch gesteigert.

Kritisch äußert sich die Wissenschaftlerin Dr. Katharina Schüller: "Nur weil Studien auf großen Stichproben beruhen, bedeutet das noch lange nicht, dass sie korrekte Ergebnisse liefern. Wenn diese Ergebnisse aber den Kreis der Wissenschaft verlassen und zur Unterstützung politischer Entscheidungen herangezogen werden, bedarf es einer sorgfältigen Qualitätskontrolle, die in vielen Fällen nicht gegeben ist." Schüller verweist hier insbesondere auf die Stichprobenauswahl innerhalb von Online-Panels und den so genannten "Nonresponse" von 80 Prozent: Dieser berge ein "ein hohes Risiko, verzerrte Ergebnisse zu erhalten, die keine belastbaren Schlüsse mehr auf die Bevölkerung zulassen."

Dennoch weniger Süchtige bei Lotto?

Auch Blienert wird nicht müde, Lotto zu verteidigen, schließlich sei es "langweilig, Zahlen anzukreuzen", und auf eine Ausziehung zu warten, würde "weniger Trigger setzen". Das ist nur die halbe Wahrheit, denn natürlich gibt es auch Menschen, die von Lotto abhängig werden, gezielt auf die Ausziehung warten und etwa andere Termine und Verabredungen dafür flöten lassen.

Wobei wir bei den "harten Fakten" wären: Style PASS schaut in den "Glücksspielsurvey 2022": 2883 der Teilnehmenden des Glücksspielsurveys haben Lotterien mit geringem Gefährdungspotenzial gespielt, 3,3 Prozent haben von Symptomen einer glücksspielbezogenen Störung berichtet. Das sind 95 Personen - soweit es die Zahlen des Glücksspielsurveys zulassen, errechnet Style PASS, dass der Glücksspielsurvey  insgesamt 277 Personen mit einer glückspielbezogenen Störung gefunden hat. Wir erinnern uns: 95 davon - das sind 34 Prozent - haben in zwölf Monaten ausschließlich Lotterien mit geringem Gefährdungspotenzial genutzt und trotzdem beschrieben, dass ihr Spielverhalten in diesen Lotterien im selben Zeitraum pathologisch war.

Style PASS-Herausgeberin Eva Britsch dazu: "Wenn laut Survey also ein Drittel der Spielsüchtigen in Deutschland ausschließlich Lotto nutzen und beschreiben, dass ihr Spielverhalten mit Lotto die Kennzeichen einer Glücksspielstörung aufweist, dann erscheint es etwas weit hergeholt, zu argumentieren, dass Lotto harmlos sei!"
Dass die Studiendaten und das Studiendesign des "Glücksspielatals 2023" nicht offen gelegt werden, auch nicht auf Rückfrage von Journalist*innen hält Style PASS für problematisch, schließlich wurde der "Glücksspielatals 2023" von der Bundesregierung in Auftrag geben und vom Bundesministerium für Gesundheit bezahlt - somit also von öffentlichen Geldern. Es handelt sich damit um einen Report, bei dem Transparenzpflicht besteht - und nicht um irgendein Lobbypapierchen: "Studiendesign und Daten transparent zu machen, soweit es mit dem Datenschutz der Befragten vereinbar ist, sollte nicht eingefordert werden müssen!", so Britsch.

Blienert zu den gestiegenen Zahlen im von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Survey: "Die Studiendaten sind nach unterschiedlichen Daten erhoben worden und deshalb nicht vergleichbar. Dennoch gehen wir davon aus, dass die Zahl der problematisch Spielenden in den vergangenen Jahren gestiegen ist, schon allein, weil heute jeder vom Smartphone aus '24/7' spielen kann. Das war vor zwanzig Jahren noch anders."

Style PASS ergänzt, dass der sprunghafte Anstieg von 0,3 Prozent auf 2,3 Prozent der Glücksspielsüchtigen so nicht erklärt werden kann.

Blienert weist zudem auf einen weiteren Punkt hin: "Anders als früher werden Jugendliche heute bereits in ihren Onlinespielen mit einer großen Bandbreite glücksspielähnlicher Elemente konfrontiert. Auch die erhöhen erwiesenermaßen das Risiko einmal an Glückspielen teilzunehmen - und das im Übermaß!" Hier nennt Blienert einen wichtigen Punkt, doch auch hierauf hätte der Survey differenzierter eingehen sollen.

Was meint Style PASS?

Im "Glücksspielatlas 2023" hätte klarer herausgearbeitet werden sollen, wo die Unterschiede in den Methoden zu den vorhergehenden Untersuchungen zu sehen sind und von den wissenschaftlichen Experten rund um Prof. Rumpf stärker interpretiert und nachvollziehbar gemacht werden sollen: So ergibt sich ein fader Beigeschmack, weil Fragen offen blieben!

 

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