Sports & Politics
Verlieren - und doch gewinnen!
Ein sympathischer Typ war Werner Hansch schon immer. Der Sportreporter kam meist interessiert und kompetent rüber - nun startet er mit über 80 eine zweite Karriere: Mit seiner Initiative "Zockerhelden" will er Menschen, die Geld bei Sport- oder Glücksspielwetten verloren haben, helfen. Denn Hansch verlor selbst Haus und Frau durch seine Pferdewetten-Sucht. Nun sei es ihm „ein Bedürfnis, andere vor den Gefahren der Spielsucht und der Verführung durch Sportwetten zu warnen“. Aber worum geht es konkret? Warum trat Hansch bei der Show „Höhle der Löwen“ auf?
Und ist die Initiative wirklich so philanthropisch, wie die PR-Texte auf ihrer Seite vermuten lassen?
Style PASS sprach mit Zockerhelden und dem Sportwettenanbieter Tipico, von dem Einsätze zurückgefordert werden.
Stellen Sie sich vor, Ihr Hobby besteht darin, auf Fußballspiele zu wetten - wäre es da nicht eine feine Sache, das Geld, das Sie verzockt haben, qua anwaltlicher Hilfe und Gerichtsurteil vom Wett-Anbieter zurückfordern zu können? Mit diesem Geld würden Sie dann natürlich nie wieder Wetten abschließen, sondern würden zum Beispiel in den Urlaub fahren, weil Sie Herr Hansch persönlich mit seiner Leidensgeschichte zu Einsicht und Läuterung gebracht hat.
Achtung! Style PASS versucht sich hier in Ironie, denn wir glauben nicht, dass Menschen so einfach Gewohnheiten ändern - aber: Das ist in etwa das Geschäftsmodell von „Zockerhelden“. Menschen, die Geld bei Wetten verloren haben, können sich an den Anwalt Marc Ellerbrock wenden, der inhaltlich für die Arbeit von Zockerhelden verantwortlich ist.
Etwas ganz Neues ist das nicht: Es gibt eine Reihe von Anwaltskanzleien, die sich auf diesen Bereich spezialisiert haben. Warum „Zockerhelden“ viel gesellschaftliche Aufmerksamkeit bekommt und das Thema „Glücksspielsucht“ in den Fokus rückt, ist zum einen mit der Teilnahme von Hansch bei der Unterhaltungsshow „Höhle der Löwen“ zu erklären - Hansch versuchte hier Investoren für sein Vorhaben zu gewinnen. Zum anderen durch die Prominenz von Hansch selbst und seine - wirklich tragische - Sucht-Historie.
Ganz so einfach, wie die Außendarstellung von Zockerhelden vermuten lässt, ist die Sache allerdings nicht, weiß Style PASS, denn es geht eigentlich gar nicht um die „armen Glücksspielsüchtigen“ auf der einen Seite und die bösen (Sport-)Wettenanbieter auf der anderen Seite.
Es geht um die Frage, ob es zum Vertragsabschluss kam!
Im Kern geht es vielmehr darum, ob ein rechtsgültiger Vertrag zwischen einem erwachsenen Spieler und einem Wett-Anbieter abgeschlossen wurde. Dabei geht es konkret um den Zeitpunkt, wann gewettet wurde. Zockerhelden sieht Wetten vor Erhalt einer deutschen Sportwetten-Konzession als nichtig an. Hier gab es länger Regelungsbedarf - im Sommer 2021 trat dann der so genannte „Glücksspielstaatsvertrag“ in Kraft, auf den sich Zockerhelden bezieht und bei Wetten vor der Regelung durch diesen Vertrag keine Rechtsgrundlage für eine gültige Wette sieht. Kurzum: Nach Meinung von Zockerhelden, hätten in Deutschland gar keine Wetten angeboten werden dürfen.
Tipico hat allerdings bereits davor eine Konzession, und zwar im Oktober 2020, vom Regierungspräsidium in Darmstadt ausgestellt bekommen. Tipico verweist zudem auf die Gültigkeit seiner maltesischen Sportwetten-Lizenz aus dem Jahr 2004. Diese sei vor Klärung der gesetzlichen Lage in Deutschland im Zuge der europarechtlichen Dienstleistungsfreiheit in Deutschland nach Auffassung des Anbieters gültig gewesen.
Nun hat der Bundesgerichtshof zur Klärung dieser Rechtsfrage an den Europäischen Gerichtshof verwiesen. Schaut man sich das an, wird klar, dass es für die juristische Bewertung dieser Rechtsfrage gar keine Rolle spielt, ob ein Spieler süchtig war - oder nicht. Auch wenn mit dem Thema Glücksspielsucht in der Außendarstellung von Rückforderungs-Kanzleien stark gearbeitet beziehungsweise geworben wird.
Wir fragen bei Zockerhelden nach dem Erfolg des Geschäftsmodells!
Zockerhelden schickt Style PASS eine Liste mit 50 Urteilen von Landesgerichten zu. In den Urteilen werden Anbieter wie "Tipico" oder "Electra Works" dazu verdonnert, Summen zwischen 7.000 bis hin zu über 200.000 Euro zurückzuzahlen. Den meisten dieser Urteile sollten die Wettanbieter widersprochen haben.
Rechtsgrundlage, auf die sich Zockerhelden bezieht, ist die (fehlende) Rechtsgültigkeit von Wetten zu Zeitpunkten, als Sportwetten ohne eine in Deutschland ausgestellte Konzession angeboten wurden. Nur: Diese Konzession konnten die Anbieter gar nicht bekommen, da das diesbezügliche behördliche Verfahren von einem deutschen Verwaltungsgericht wegen europarechtlicher Verfehlungen gestoppt wurde. Tipico verweist gegenüber Style PASS auf ein bereits ergangenes Urteil des Europäischen Gerichtshof aus dem Jahr 2016. Der Europäische Gerichtshof hatte geurteilt, dass dem Anbieter von Sportwetten die fehlende deutsche Konzession aus genau diesem Grund nicht zum Nachteil ausgelegt werden dürfe.
Style PASS' Recherchen zeigen, dass seit dem Verweis an EU-Ebene durch den Bundesgerichtshof dutzende Gerichte Sportwettenrückforderungsverfahren ausgesetzt haben, offenbar, um zuerst die Antwort des obersten Europäischen Rechtshüters abzuwarten.
Während einige Gerichte der Argumentation der Kläger folgen, ist bei Tipico hingegen zu hören, dass andere Gerichte ihrerseits weitere diesbezügliche Fragen an den Europäischen Gerichtshof planen. So gibt es beispielsweise einen entsprechenden "Hinweisbeschluss" vom Landgericht Erfurt, der Style PASS vorliegt.
Style PASS fragt nach, was das Ganze dann eigentlich mit dem Thema "Sucht" zu tun habe?
Bei Tipico verweist man darauf, führend in der Anwendung von Spielerschutz in Deutschland zu sein. Man habe ein behördlich geprüftes Schutzkonzept (Style PASS berichtete hierzu), das regelmäßig in Erlaubnisverfahren vorgelegt und als geeignet befunden und weiterentwickelt würde. Natürlich gibt es auch Klagen von Wetter*innen gegenüber Wettanbieter, innerhalb derer den Wettanbietern unzureichender Spielerschutz im Zusammenhang mit Glücksspielsucht vorgeworfen wird. Derartige Fälle seien laut Tipico allerdings Einzelfälle und rechtlich zudem anders zu bewerten.
Bei derartigen, wie von Zockerhelden vorangetrieben Prozessen sähe man es bei Tipico aber einfach als "Geschäftsmodell" von Zockerhelden an, einen rechtlichen Graubereich auszunutzen, um selbst Geld zu verdienen.
Style PASS ist nach der ersten Kommunikation mit Zockerhelden und Tipico verwirrt: Um was geht es eigentlich? Spielsüchtige zu schützen, wie es der treuherzige Werner Hansch in der „Höhle der Löwen“ so überzeugend rübergebracht hat? Einen ganzen Geschäftszweig wie (Sport-)Wetten als dysfunktional und schädigend abzuklassifizieren?
Aber warum sind Wetten in Deutschland dann überhaupt erlaubt, und nicht komplett verboten?
Dass es bei Zockerhelden auch ums liebe Geld geht, und nicht nur Altruismus, wird Style PASS spätestens dann klar, als wir uns die Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen den Mandant*innen und Herrn Ellerbrock anschauen: Zwei verschiedene Wege führten an die Kasse, einmal, man zahle Anwalt Ellerbrock normal, nach der Honorartabelle für Anwälte, oder man schalte einen „Prozesskostenfinanzier“ ein. Der übernimmt die Kosten, auch wenn der Prozess verloren geht - bekommt dann aber auch einen Prozentsatz der zurückgeforderten Summe und muss natürlich davon auch noch den Anwalt bezahlen. Und damit Anwalt Ellerbrock überhaupt zu arbeiten anfängt, muss man mindestens 5000 Euro verzockt haben, ansonsten ist die Schädigung des armen Wetters nicht interessant genug für Zockerhelden.
Insgesamt scheint das Potential, mit Rückforderungen anwaltliche Wertschöpfung zu betreiben, immens: Über 1000 Klagen habe Zockerhelden bereits eingereicht, wobei noch nicht alle Urteile vorlägen, in 97 Prozent der Fälle sei man laut Angaben von Zockerhelden bereits erfolgreich gewesen.
EU ist gefragt, weil sich Deutschland nicht organisiert bekommt!
Nun befasst sich also der Europäische Gerichtshof damit, ob und wann Sportwetten in Deutschland gegebenenfalls zivilrechtlich als illegal bewertet werden können.
Sollte die Antwort des Europäischen Gerichtshofs zugunsten der klagenden Konsumenten ausfallen, was hieße, dass Hansch und Ellerbrock mit ihrer Sichtweise richtig liegen, wäre das wohl ein großes Problem für so manchen Sportwetten-Anbieter.
Schließlich wird ein gewisser Prozentsatz - Style PASS hört von rund 80 bis 90 Prozent -, der Einsätze ja in Form von Gewinnen ausgezahlt, zum anderen müssen, wie im Falle von Tipico, Mitarbeiter*innen, Filialen etc. bezahlt werden: In Anbetracht der Masse an eingereichten Klagen und der Summen, die im Raum stehen, müssten die Anbieter schon gut gewirtschaftet haben, sonst könnte das, vor allem bei kleineren Anbietern, das Aus bedeuten.
Muss der Staat die Wetter*innen also vor sich selbst schützen?
Eigentlich nicht, meint Style PASS: Wir sprechen mit einem Fachexperten für Glücksspielsucht, der den Prozentsatz innerhalb einer Gesellschaft, die glücksspielsüchtig seien beziehungsweise werden können, auf stabile ein bis zwei Prozent taxiert - dieser Prozentsatz sei von äußeren Umständen unabhängig. Diese Spielergruppe, sogenannte vulnerable Personen, versuche man bei Tipico an auffälligem Spielverhalten zu identifizieren.
Die Konsequenz für den Süchtigen? Eine Sperre.
Diese Sperre muss allerdings vom Psychologischen und Rechtlichen „sauber“ durchgeführt sein, da eine solche Sperre in die Persönlichkeitsrechte einer Person – Stichwort: Autonomie - eingreift und im Zweifelsfall vor Gericht nachgewiesen werden muss – schließlich gilt diese von einem Wettanbieter ausgesprochene Sperre nicht nur für das eigene Unternehmen, sondern auch für die Kollegen
Style PASS meint: Natürlich wirken verzockte Summe von beispielsweise 90.000 Euro nach außen für Menschen, die nicht wetten und zocken, krass - anderseits geben Menschen auch gerne mal 100.000 Euro für einen Sportwagen, oder 20.000 Euro für eine Einbauküche aus.
Auf Nachfrage bei Zockerhelden, was man dort tun würde, um zu verhindern, dass Menschen das zurückerhaltene Geld wieder verzocken würden, verweist man darauf, dass die "Verwendung der zurückgeholten Gelder im Verantwortungsbereich des Geschädigten" lägen. Das stimmt. Nur fragt sich Style PASS, warum Glücksspielsucht im Fokus steht, wenn es eigentlich um etwas anderes geht? Auch ist von Therapeuten zu hören, dass man Süchtigen kein Geld in die Hand drücken sollte, weil sie damit ihre Sucht bedienen können - insofern wäre bei "wirklich Spielsüchtigen" die Hilfe eines Treuhänders oder Betreuers als obligatorische Maßnahme im Zusammenhang mit zurückgeholten Geldern eine Überlegung wert, findet Style PASS.
Und inwiefern Zockerhelden von der Klagewelle profitiert, da kommt Style PASS nicht so recht weiter, hinge der Prozentsatz von der Klagesumme ab und würde "individuell vereinbart". Das empfindet Style PASS als intransparent, weil nicht nachvollziehbar ist, nach welchen Kriterien der Prozentsatz verhandelt wurde! Auf Nachfrage bei der Anwaltskammer bekommt Style PASS erklärt, dass die Gebührenordnung für Anwälte keine „Empfehlung“ sei, wie wir erst dachten, sondern ein Gesetz („Rechtsanwaltsvergütungsgesetz“) – in bestimmten Fällen dürften „Erfolgshonorare“ vereinbart werden. Ob es sich hierbei um einen „bestimmten Fall“ handelt, übersteigt freilich das laienjuristische Verständnis von Style PASS. Innerhalb des Berufsstands gibt es aber zumindest "geteilte Meinungen" zum Vereinbaren von Erfolgshonoraren.
Ein fader Beigeschmack bleibt bei Style PASS jedoch erhalten, trumpft Zockerhelden doch mit klar verbraucherorientierter Tonalität in der Außendarstellung auf. Aber warum werden dann nicht auch Mandant*innen mit kleineren Wettverlusten vertreten? 2.000 Euro können viel Geld sein, ist man im Bürgergeldbezug. Auch könnte man in sozialen Härtefällen einfach mit kostenfreier anwaltlicher Hilfe aus der Patsche helfen, ginge es wirklich darum, die böse „Sportwetten-Mafia“ platt zu machen
Merkantilismus-Schmiede zieht erstmal zurück
Die Investoren der Merkantilismus-Schmiede "Höhle der Löwen" haben sich nach Bekanntwerden, dass der Europäische Gerichtshof tätigt wird, als Investoren vorerst wieder zurückgezogen - das Geschäftsmodell scheint tollen Kapitalisten wie Maschmeyer und Co. nun doch zu risikointensiv, und man scheint offenbar auch nicht ganz sicher, ob man genug Rendite aus der Geschichte quetschen kann. Schließlich müssten Zockerhelden, würde nach Widersprüchen der Sportwettenanbieter und einer gegebenenfalls differenzierteren Einschätzung des Europäischen Gerichtshof und einer dann anders lautenden Entscheidung der Gerichte, Zockerhelden die Prozesskosten tragen. Da legen die potentiellen Investor*innen ihre Knete eventuell lieber erstmal aufs Tagesgeldkonto, da locken aktuell zumindest um die drei Prozent Zinsen. Auch mit Zinsen werben Zockerhelden: „Entscheidend für Geschädigte ist nun, die eigenen Ansprüche unbedingt schnellstmöglich geltend zu machen, um die Verjährung auszusetzen. Hinzu kommt, dass auch Forderungen aus ausgesetzten Verfahren mit fünf Prozent über dem Basiszins (aktuell 3,37 Prozent), also aktuell 8,37 Prozent ab dem Zeitpunkt der Klageerhebung verzinst werden.“
Ein paar Fragen dazu bleiben vom Format „Höhle der Löwen“ beziehungsweise dem Sender unbeantwortet.
Style PASS fragt bei der von Zockerhelden beauftragten PR-Agentur nach: „Wie bewertet Zockerhelden die Tatsache, dass der EuGH aufgerufen ist, eine Bewertung der widerstreitenden Sichtweisen zwischen Glücksspielern und Glücksspielanbietern abzugeben?“
„Entscheidend ist dabei, dass der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner Presseerklärung darauf hingewiesen hat, dass er die Sportwettenverträge auch unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs weiterhin für nichtig erachtet und damit Tipico zur Rückzahlung der Verluste verpflichtet ist.“
Auf Nachfrage von Style PASS dazu bei Tipico, sagt das Sportwetten-Unternehmen dazu:
„Wir begrüßen die Entscheidung des BGH, sich unserer Rechtsmeinung anzuschließen und sich an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu wenden, um die Rechtslage in dieser Sache zu klären. Wir sind und waren als Unternehmen stets legal tätig. Die Gerichte haben das über zwei Jahrzehnte hinweg immer wieder bestätigt. Wir sehen daher keinen Grund, warum der EuGH nicht bei seiner bisherigen Linie bleiben und in unserem Sinne entscheiden sollte. Dennoch gibt es Klagekanzleien, die Spieler weiterhin ganz offenbar bewusst in die Irre führen und mit nicht nachvollziehbaren Erfolgsversprechen zu Klagen bzw. Klageabtretungen bewegen wollen.“
Worum es geht, scheint nach ausführlicher Recherche klar: ums liebe Geld!
Die EU scheint generell privaten Unternehmertum aufgeschlossener zu sein, als die Deutschen Besitzstandswahrer!
Bereits 2010 hatte der Europäische Gerichthof zugunsten privater Anbieter von Spotwetten geurteilt und das deutsche Staatsmonopol auf Sportwettenangebote gekippt.
Warum?
Der Europäische Gerichtshof bemängelte die unzureichende Umsetzung von Schutzmaßnahmen.
Ein Treppenwitz bei der ganzen Story ist übrigens, dass Werner Hansch laut Zockerhelden zwar dank Psychotherapie von seiner Pferdewetten-Sucht geheilt ist, selbst seine Wetteinsätze aber im Gegensatz zu den Menschen, für die er sich nun öffentlichkeitswirksam einsetzt, nicht zurück bekommen hat: Pferdewetten firmieren in Deutschland unter einem anderem Gesetz, als Sportwetten, dem „Rennwett- und Lotteriegesetz“ - dieses Gesetz ist von den Streitigkeiten nicht berührt, da es vom „Glücksspielstaatsvertrag“ in 2021 nicht betroffen war.
Style PASS ist gespannt, wies weiter geht und wird berichten!