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Die Frauenrechtlerin Dr. Godula Kosack im Gespräch mit Style PASS

„Menschenrechte gehen über Bräuche“

Die sympathische Frauenrechtlerin Dr. Godula Kosack hat viele Höhen und Tiefen der Frauenrechtsbewegung erlebt und mitgestaltet. Umso mehr wundert sich die differenziert kommunizierende Kosack, die für einen Besuch der TERRE DES FEMMES-Filmwoche in Berlin ist, dass essentielle Themen wie Genitalverstümmelungen von Mädchen in Deutschland immer noch von manchen als „kulturelle Eigenheit“ abgetan werden. Im Gespräch mit Style PASS erfahren wir mehr über Riten und Bräuche und was deutsche Frauen von Afrikanerinnen lernen können.

Style PASS: Liebe Frau Dr. Kosack, Ihr Engagement auf dem Gebiet der Menschen- und Frauenrechte ist vielfältig. Womit beschäftigen Sie sich aktuell?

Dr. Godula Kosack: Ich habe ein Herzensprojekt, das ist die Mädchenbildung in Nord-Kamerun. Ich bin als Ethnologin da seit 1981 unterwegs und seit 1985 in einem Dorf ansässig und habe dort eine patriarchale Gesellschaft kennengelernt, in der die Frauen völlig rechtlos sind. Sie haben kein Recht zu erben, die Töchter werden von den Vätern verheiratet, Bildung ist den Jungen vorbehalten. Frauen in Not kamen zu mir, und sagten zu mir: „Meine Tochter soll zur Schule gehen!“ und baten mich um Geld. Die Frau hat dort keine eigene Position, sie ist „Tochter ihres Vaters“ oder die „Ehefrau von“. Frauen, die im Alter keine Söhne haben, sind der Armut ausgeliefert.

Style PASS: Was haben Sie genau gemacht?

Es ist ein Projekt daraus entstanden, dass wir gesagt haben, dass Mädchen Bildung brauchen, dass Töchter für ihre Mütter im Alter da sein können und Mütter ihre Töchter Bildung zugänglich machen wollen. Mädchen, die dann ihren Master an der Uni gemacht haben, dienen als Vorbilder, die zeigen: „Frauen können alles, was Männer auch können!“ Sie sollen die Möglichkeit haben, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Das Projekt heißt deshalb: „Selbstbestimmung durch Bildung!“

Style PASS: Wie funktioniert das? Arbeiten sie mit der dortigen Regierung zusammen?

Nein, das läuft so, dass wir Stipendien vergeben. Angefangen bei der Grundschule, dass Schulgebühren und Materialien bezahlt werden, später dann Unterkunft, Verpflegung, Studiengebühren. Das Projekt nimmt ständig an Volumen zu. Finanziert nur von privaten Mitteln. Die Frauen werden Krankenschwester, Lehrerin, Ärztin oder gehen in die Verwaltung. Sie sind Multiplikator*innen für die Frauenbildung.

Style PASS: Der Film „Wüstenblume“ hat weibliche Genitalverstümmelung in das europäische Bewusstsein gebracht. Das somalische Model Waris Dirie erzählt …

Dr. Goldula Kosack unterbricht höflich aber bestimmt: „Nein, sie wurde erstmal in England versklavt und hat sich da dann befreit, bevor sie Model wurde und zur Botschaftern für das Thema!“

Style PASS: Ihre Sicht?

Es muss klar sein, dass weibliche Genitalverstümmelung eine schwere Menschenrechtsverletzung darstellt. Ich war 10 Jahre lang Vorstandsvorsitzende von TERRE DES FEMMES. Im Jahre 1981 wurde TDF von Frauen gegründet, die etwas gegen die damals noch völlig unbekannte weibliche Genitalverstümmelung unternehmen wollten. Eine Forderung ist: Aufklärung bei Einreise nach Deutschland.

Style PASS: Bislang politisch nicht umgesetzt. Warum ist das so schwierig?

Für manche schließt sich offenbar die Frage an: „Bin ich als Weiße überhaupt berechtigt, dazu irgendwas zu sagen?“

Style PASS: Wollen Sie als „Weiße“ dazu etwas sagen?

Natürlich: Menschenrechte gehen ganz klar über Bräuche!

Style PASS: Da könnte ich Sie ja nachher auch totschlagen und sagen: „Mami und Papi haben mir das aber so beigebracht!“

Das ist ja auch ein großes Thema bei den so genannten „Ehrenmorden“: Die Schwester wird vom Bruder getötet, weil die Eltern zu ihm gesagt haben: „Deine Schwester ist eine Schande für die Familie!“ Es ist gar nicht so lange her, da wurden „mildernde Umstände“ geltend gemacht, weil der Täter das so beigebracht bekommen hat.

Style PASS: Ist es nicht vielmehr so, dass das eine nicht ohne das andere zu denken ist: Wer Leute ins Land lässt, muss auch für Aufklärung über unseren Wertekanon sorgen? Denn die Leute profitieren ja auch von den Vorzügen einer Demokratie und eines Sozialstaates!

Ich bin vollkommen bei Ihnen!

Style PASS: Wenn ein Deutscher seinem Kind kein Essen gibt, ist es auch „Kindesvernachlässigung“. Warum sollte ein Afrikaner nicht haften, wenn er seiner Tochter die Genitalien verstümmeln lässt?

Natürlich, es geht um Kommunikation und Wertevermittlung.

Style PASS: Es ist für uns in der Style PASS-Redaktion nicht nachvollziehbar, warum Deutsche teilweise Bräuche aus anderen Ländern gesund beten, wo wir als Deutsche selbst viel dafür getan haben, unsere Demokartei in der Form aufzubauen!

Ich finde es wichtig, alle neu ankommenden Frauen und Mädchen aufzuklären. Wir müssen alle mitnehmen. Es dürfen keine Hierarchien hergestellt werden. Was wir hier an Gesetzen errungen haben, muss für alle zugänglich sein. Es gibt teilweise ein falsches Verständnis von „politischer Korrektheit“, die zu Ungunsten von weiblichen Zuwanderinnen läuft.

Style PASS: Sie haben auch über Hexen geforscht und publiziert. Klingt spannend. Gab es „Hexen“ wirklich?

Ich bin als europäisch sozialisierte Frau nach Kamerun gekommen und habe Frauen in einer abgelegenen Bergregion nach ihren Lebensläufen interviewt. Frauen haben gesagt, dass sie ihre Männer verlassen haben, weil „Energieklau“ an ihren Kindern stattgefunden hat. Ich ging mit meiner Schablone dran und dachte: „Naja, ich kann verstehen, wenn Du Deinen Mann verlassen hast, weil er Dich verprügelt hat! Aber wegen Energieklaus durch einen Verwandten? Das ist absurd!“ Irgendwann habe ich umgedacht und mir gesagt: „Bin ich eigentlich hier, weil ich alles schon weiß, oder weil ich wissen will?“ Ich wollte mehr herausfinden, über die Menschen und diese Art von „mentaler Fremdeinwirkung“, so nenne ich das jetzt mal. Dort gibt es sie gehäuft, dass jemand auf jemanden mental einwirkt und daraus Energie bezieht. Dort gibt es das gehäuft und wird bewusst eingesetzt. In Europa gab es das auch und wurde mit der Hexenverfolgung unterbunden. Es gibt die energetische Fremdeinwirkung zum Guten und zum Schlechten.

Style PASS: Wie würden Sie das nennen?

Ich würde diese Menschen, die das praktizieren, nicht „Hexen“, sondern „Kraftbegabte“ nennen. Ich würde es so nicht nennen, weil Hexen aus der Zeit der „Hexenverfolgung“ stammt und damit Frauen diffamiert wurden.

Style PASS: Also?

Ich würde sagen: „Kraftbegabte“ gibt es, Hexen gibt es nicht!

Style PASS: Wie wurden Hexen in Afrika definiert. Da gibt es doch sicherlich Unterschiede zu der europäischen Definition („Hexenverfolgung“)?

In Europa galten Hexen als Frauen, die mit dem „Teufel im Bunde“ waren und zur Vernichtung des Christentums beitragen sollten.

Style PASS: Der aktuelle Stand in Afrika?

Es gibt dauernd Fälle dort, dass Frauen und auch Männer der Hexerei bezichtigt werden. Es wird vor Gericht gestritten und es gibt spezielle Methoden, wie das nachgewiesen werden soll. Orakelmethoden werden angewendet.

Style PASS: Anderes Thema: Die aktuelle Regierung ist mit der Außenpolitik stark gefordert, kommen da Frauenrechtsthemen zu kurz?

Unbedingt. Annalena Baerbock hat sich als feministische Politikerin geoutet, aber so viel in die Richtung hat sie nicht getan bislang. Vielleicht, dass in der Entwicklungspolitik Frauenprojekte größer geschrieben als vorher.

Style PASS: Sie können auch verschiedene Kulturen und die Rolle der Frau vergleichen. Was kann Europa von Afrika lernen und umgekehrt?

Das finde ich gut zu fragen, was wir voneinander lernen können! Europäerinnen können von den Afrikanerinnen lernen, mehr Solidarität und Mitgefühl zu praktizieren. Frauen haben dieses „Wir machen das gemeinsam“-Gefühl. Afrikanerinnen können von deutschen Frauen „Struktur und Organisationstalent“ lernen. Eine gewisse Art, strukturiert zu denken.

Style PASS: Klingt gut und vielen Dank für das Gespräch!

 

Mein lieber Scholli!

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB), einst hoch geachtet und gegen jegliche Kritik immun, kann einem leid tun. Verzweifelt wehrt er sich gegen den Abstieg in die Bedeutungslosigkeit, den er sich selbst zuzuschreiben hat.

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