Sports & Politics
Karriere auf dem Rad und am Pinsel
Der sympathische Rainer Kleemann hat einiges erlebt in seinem Leben und was er anpackt scheint Erfolg zu haben - sei es einen Pinsel oder den Lenker eines Fahrrads. Der 1962 geborene ist ein Frankfurter-Kind und sprach mit Style PASS über seine Erlebnisse als Profi-Radfahrer und ob er sich die Nationalmannschaft ebenso gerne ansieht wie Spiele seines Heimatclubs Eintracht Frankfurt.
Style PASS: Herr Kleemann, wer Ihre großflächigen Gemälde sieht, wird auf den ersten Blick wohl kaum vermuten, dass Sie noch eine Karriere im Radsport erlebt haben. Auf den zweiten vielleicht schon, denn Formen und Ränder auf ihren Bildern verwischen sich oft und kreieren eine Dynamik, die an einen Spitzenradfahrer erinnert, der den Berg hinunterfährt. Wie schnell waren Sie, wenn es den Berg runter ging?
Rainer Kleemann: Es kommt drauf an, in steilen Abfahrten wie in den Alpen oder Pyrenäen fährt man aufgrund der ständigen Spitzkehren nicht ganz so schnell, aber in gemäßigtem Gebirge, wie z.B. den Vogesen ist man sehr schnell - um die 90 km/h so ne Bergflanke hinunter.
Style PASS: Und auf der Geraden?
Auf flacher Strecke ohne viel Gegenwind hat man so zwischen 50 bis 55 km/h Durchschnittgeschwindigkeit.
Style PASS: Radsport lehrt einen Disziplin und Fokussierung, die einem auch bei der Kunst helfen?
Es hat mir auf jeden Fall geholfen. Disziplin ist ein großes Wort. Kunst ist mehr Arbeit als 40 Stunden die Woche. Das Ziel, ein Radrennen zu gewinnen oder eine gute Ausstellung zu machen, ist ja ähnlich.
Style PASS: Ihre Bilder haben einen recht eigenständigen Stil. Wie kam es dazu?
Wenn man sich auf Reisen befindet, im Zug oder Auto, und alles fliegt an einem vorbei, hat das was Meditatives. Ich malte Bilder, die Leute sich an die Wand hängen können und es sieht so aus, als sitzt man im Zug und etwas zieht an einem vorbei. Ich mag dieses Gefühl sehr und dachte: Vielleicht mögen das andere auch.
Style PASS: Wie lange waren Sie Radprofi?
Ich war neun Jahre in Teams – insgesamt bin ich 11 Jahre gefahren, wenn ich meine Juniorenjahre mitzähle.
Style PASS: Was haben Sie am Radsport geliebt und was führte dazu, dass Sie Ihre Passion an den Nagel gehängt haben?
Ich mochte das strukturierte schnelle Fahren im Fahrerfeld, die ansteigende Spannung und natürlich auch die Räder und deren Technik. Ich war ein guter Teamfahrer, aber nie ein Spitzenfahrer. Dann war ich 29 und damals konnte man nicht Unsummen verdienen, man hat aber auch nicht viel ausgegeben, da man im Prinzip immer im Mannschaftbus, im Hotel, oder auf dem Rad war. Mit 29 dachte ich: es reicht.
Style PASS: Es gibt unterschiedlicher „Typen“ im Radsport, ähnlich wie im Fußball?
Ja, ähnlich wie beim Fußball gibt es verschiedene Fahrercharaktere. Es gibt Sprinter, es gibt Bergfahrer, ich bin relativ groß, konnte Berge aber dennoch gut fahren. Ich war variabel einsetzbar. Und auch etwas der Helfertyp, ich konnte dem Spitzenmann auch mal Wasser bringen.
Style PASS: Gabs zu Ihrer Zeit schon diese Trainingslager in den Bergen, um die roten Blutkörperchen zu mehren?
Wir waren nicht in Bolivien auf 4000 Meter Höhe, sondern auf Malle. War denke ich auch netter. In den 80ern bis 90ern war der Radsport nicht so professionalisiert und kommerzialisiert. Heute gibt es im Winter auch Rennen in Katar und Südafrika, das gab es damals nicht. Auch die Eistonne gab’s noch nicht.
Style PASS: Der Radsport hat sich sehr verändert?
Ja, dass im Fahrerfeld die Teams miteinander kaum noch sprechen, dass sich Spezialisten ausgebildet haben, für bestimmte Rennen, die z.B. nur noch die Tour de France fahren und auf punktuellen Erfolg gebrieft werden, gab`s damals noch nicht so ausgeprägt. Heute gibt es einen Mindestlohn, was ich gut finde, früher war es lediglich erfolgsbasiert, wenn man Rennen gewonnen hat.
Style PASS: Momentan arbeiten Sie auch nicht als Künstler, obwohl Sie damit sehr erfolgreich waren. Es schimmert eine Portion Idealismus und kritische Haltung dem Sport- und Kunstbetrieb durch?
Was den Sport betrifft eigentlich nicht, das hatte mit der Zeit zu tun und hatte pragmatische Gründe, dass ich aufgehört habe. Was die Kunst betrifft schon: Ich wollte nie, dass meine Bilder ein paar Millionen kosten, sondern Leute sich diese mit einem normalen Gehalt leisten können. Es gab einen Konflikt, der zwischen Galeristen und mir immer mehr gärte. Damit konnte ich mich nicht identifizieren.
Style PASS: Da mögen Sie viele für „bescheuert“ halten, dass Sie nicht mitgenommen haben, was geht!
Das mag sein. Der Kunstmarkt an sich wird immer elitärer, je teurer die Bilder sind. Es gibt Sammler, die kaufen Katalognummern. Ich habe das als nicht mehr sinnstiftend empfunden, was ich tue. Arbeitszyklen werden teilweise von Galeristen vorgegeben.
Style PASS: Wie in einer Fabrikation?
Exakt. Es geht so wenig darum, was man als Künstler eigentlich tut. Ich kann nur für mich sprechen: Es gibt Kolleginnen, die gut damit zurecht kommen und tolle Bilder machen, für mich war es nix.
Style PASS: Auch keine Kunst am Wochenende? Momentan arbeiten Sie ja bei einer NGO.
Nein, da mache ich Sport. Ich habe genug Bilder gemalt. Aber ich habe keinen Groll gegenüber dem Kunstbetrieb.
Style PASS: Die massive Kommerzialisierung des Radsports hat zu Extremen geführt, was Leistungsoptimierung angeht, bis hin zu krassen Dopingverfahren wie „Epo“. Wie stehen Sie dazu, was haben Sie selbst erlebt?
Zu dieser Zeit wusste jeder, dass es gemacht wird. Es gab Teams, wo es gemacht wurde und Teamleiter, die es den Fahrern überlassen haben, was aber teilweise dazu geführt hat, dass man große Rennen nicht mehr bekommen hat. Ich wollte das nie, auch weil mir Langzeitwirkungen nicht klar waren. Später wurde es sowas von augenscheinlich, dass es nicht mehr schön war. Doping hat den Sport massiv negativ beeinflusst. Ein fairer Wettkampf war nicht mehr möglich.
Style PASS: Langzeitwirkungen?
Epo vermehrt wie Höhentraining die roten Blutkörperchen, es erhöht so die Thrombosegefahr. Die Fahrer nahmen Epo, dann nehmen sie abends ein Blutverdünnungsmittel, um keine Thrombose zu kriegen. Wenn jemand dann nach Karriereende einen Herzinfarkt bekommt mit 42, ich weiß nicht!
Style PASS: Hygieneffekte, den sauberen Sport, das gab es nicht?
Es gab keine Angst, erwischt zu werden. Im Fahrerlager wurde es offen kommuniziert, nach außen halt nicht. Die Restriktionen waren nicht da, wie später in den 90er Jahren, wo es endlich radikal bestraft wurde.
Style PASS: Aber durchgeführt von Ärzten!
Natürlich waren das Ärzte.
Style PASS: Junge Leute wie Jan Ullrich erschienen von außen betrachtet wie freiwillig-unfreiwillige Opfer.
Für mich ist Jan Ullrich, wie er den Sport betreibt, einer der besten, die ich jemands gesehen habe. Wenn Du den gesehen hast, hast Du einfach Bock auf Fahrradfahren bekommen. Ein unfassbares Talent. Alles andere, dass er als Kind schon ohne Vater aufgewachsen ist, dass er von einer Hand in die andere übergeben worden ist und alle dachten nur ans Geld und er dann zu Drogen und Alkohol und so gekommen ist, ist ja alles bekannt.
Style PASS: Wie geht es ihm nun?
Er macht viel für Touristik und Radreisen. Ich bin mit ihm auf FB befreundet und er macht nen guten Eindruck. Er scheint mit sich im Reinen, nachdem er mit der ganzen Lügerei aufgehört hat.
Style PASS: Andere Sportler wie Lance Armstrong waren an der massiven Kommerzialisierung mit beteiligt. Ein paar Worte zu dem amerikanischen Sport-Star?
Was das Radfahren betrifft erinnert er mich an ein trotziges Kind, das man irgendwo draufsetzt und das dann nach unten strampelt. Ich will nur so viel sagen: Es gab keinen anderen Sportler, der den Sport derartig geschädigt hat wie er. In einer amerikanischen Dokumentation wurde sogar darüber berichtet, dass Morddrohungen gegenüber Mitarbeitern ausgesprochen worden sind, damit ja nichts nach draußen dringt. Nach allem was ich über Armstrong aus der Szene gehört habe, halte ich solche Vorwürfe für durchaus realistisch und glaubwürdig!
Style PASS: Andere Sportler, die sie mögen?
Boris Becker. Er hat Tennis in Deutschland populär gemacht hat. Er hat Tennis „prollfähig“ gemacht!
Style PASS: Wir dachten, das war Fred Perry!
Das mag sein. Aber Boris Becker mag ich auf jeden Fall sehr.
Style PASS: Mehrere tausend Kalorien müssen Rad-Profis auf Wettbewerben wie der Tour de France zu sich nehmen. Das kann man sich als „Normalo“ so nicht vorstellen. Wie funktioniert das?
Es sind sowas um die 5000 Kalorien bei normalen Rennen. Man braucht bis zu 8000 Kalorien bei schweren Bergetappen. Man muss halt den ganzen Tag essen.
Style PASS: Wie viele Packungen Nudeln sind das?
So acht Packungen
Style PASS: Welche Sauce?
Olivenöl und Thunfisch mochte ich!
Style PASS: Es ist nun schon eine Weile her, dass Sie Profi-Radfahrer waren. Wie sehen Sie heute auf den Sport?
Es ist beim Fußball das gleiche: Es ist natürlich kommerzieller geworden, aber wenn mein Verein, Eintracht Frankfurt, spielt, kriege ich nach wie vor Herzklopfen. Es gibt auch weiterhin tolle spannende Radrennen zu sehen und auch da fiebere ich nach wie vor mit.
Style PASS: Junge Leute sollten Rad fahren?
Auf jeden Fall!
Style PASS: Letzte Frage: Eine EM im „eigenen“ Land, interessiert Sie das als Radfahrer? Wie stehen Sie zu dem Schulterschlag zwischen Nationalstolz, siehe „Tour de France“, siehe Fußball-Europameisterschaft, und Sport?
Ich schaue Fußball, auch Eishockey und Handball. Aufgrund eines Wortes in meinem Pass fühle ich mich allerdings nicht mit einer Mannschaft verbunden, die nur ein paar Mal im Jahr zusammen kommt. Ich bin emotional mit Frankfurt verbunden, weil ich da als Kind selbst gekickt habe.
Style PASS: Steffi Jones, die auch in Frankfurt gespielt hat, hat einmal gegenüber Style PASS gesagt „Sport kann auch missbraucht werden“!
Ich finde das richtig, was sie sagt und ich denke, dass Leute wie Steffi Jones auch gute Vorbilder sind. Sie ist farbig und lebt offen lesbisch. Und wen ich übrigens auch mag, ist Toni Kroos, er hat zwar nie für mein Team gespielt, wirkt auf mich aber sehr sympathisch und bodenständig.
Vielen Dank
Zu dem Style PASS-Interview mit Steffi Jones kommt Ihr HIER!
Zu einem Portrait über Boris Becker kommt Ihr HIER!
