Sports & Politics
Hat die Sportwettenlobby zu hoch gepokert?
Sportwetten sind neben Drogen, Alkohol und Tabak das, was nicht nur den Fußball, sondern das gesamte Abendland mit seinen positiven Werten wie Leistungsorientierung und einem gesunden Lebensstil ruiniert. So scheint es jedenfalls, wenn man sich aktuell die Wortmeldungen der Fangorganisation „Unsere Kurve“ im Schulterschluss mit anderen Meinungsgeber*innen durchliest. Aber ist die Panikmache auch begründet?
Style PASS hat hinter die Kulissen der Sportwettenlobby geschaut!
Ganz schön besorgt bis reißerisch kommt die Presseaussendung unter Federführung der aktiven Fangorganisation „Unsere Kurve“ rüber. Im Ansinnen, die Menschheit vor Sportwetten zu schützen, haben sich noch etliche andere Menschen*freundinnen angeschlossen. Anlass ist die Kooperation zwischen der UEFA, Ausrichter der EM, und dem Sportwettenanbieter Betano. Erstmals gibt es damit auch bei der UEFA EURO einen Sportwettenanbieter als Sponsor, dies mit großer Sichtbarkeit etwa auf Banden im Stadion oder auch in den offiziellen Fanzonen. „Werbung für Sportwetten müsste daher denselben Restriktionen wie für sonstiges Glücksspiel unterliegen. Im Prinzip sind Sportwetten gleichzusetzen mit Tabakkonsum, für Tabak ist es gelungen, Werbung aus dem öffentlichen Raum zu verbannen“, sagt Markus Sotirianos, Vorstandsmitglied bei „Unsere Kurve“
Style PASS zitiert die schockierten Beobachter:
„Mit der Aktion zeigen wir drei Dinge: Erstens hat Werbung für Sportwettanbieter in Stadien, Medien und Öffentlichkeit aus Gründen des Jugend- und Suchtbetroffenenschutzes nichts zu suchen, zweitens unterstützen wir europaweit die Forderung der österreichischen Landesstellen nach Anerkennung von Sportwetten als Glücksspiel, und drittens ist die Beteiligung an Sportwetten für manche Personen existenzbedrohend.“
Markus Sotirianos (Bündnis gegen Sportwetten-Werbung, Unsere Kurve e.V.)
„In der Glückspielsucht-Selbsthilfe ist die Sucht nach Sportwetten die Spielform, die am schnellsten wächst und schon sehr junge Menschen die Existenz kostet. (…) Die Verharmlosung und die Werbung für diese Sucht sind mit das Schlimmste.“
Nicole Dreifeld (Vorsitzende des Glücksspielfrei e.V., bundesweiter Dachverband der Selbsthilfegruppen)
„Selbst das beste Sportwissen garantiert keinen Gewinn. Es ist uns wichtig, dass die Menschen erkennen, dass Sportwetten eine Form des Glücksspiels sind und eben keine sichere Einnahmequelle. Auch wenn sich jemand gut im Fußball auskennt, kann er den Ausgang eines Spiels nicht vorhersagen.“
Konrad Landgraf (Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern)
„Mit ausufernder und teils reißerischer Werbung macht der Fußball Sportwetten salonfähig, ohne auch nur ansatzweise auf die Gefahren hinzuweisen. Das trifft auf männliche Jugendliche, die für den Adrenalin-Kick durch Sportwetten besonders empfänglich sind.“
Sylvia Schenk (Sport- und Menschenrechtsexpertin)
Style PASS versucht mit Betano zu sprechen, was der Sportwettenanbieter selbst zu den Vorwürfen sagt und ob dieser ebenfalls der Meinung ist, seine Kund*innen ins Unglück zu stürzen. Leider ist auf der Homepage von Betano weder ein Presseverantwortlicher zu sehen - und das Impressum mutet leicht kryptisch an.
Wir geben nicht auf und kontaktieren den bekannten Sportwettenanbieter Tipico, dort ist man sehr offen mit uns zu reden, ein Sprecher gegenüber Style PASS: „Sportwetten werden von einem überwiegenden Großteil der Kunden problemlos genutzt. Tatsächlich können Sportwetten aber auch zu problematischem Spielverhalten führen. Tipico unterstützt seit vielen Jahren die Erforschung und Entwicklung von Vorhersagemodellen, die uns helfen, betroffene Menschen möglichst früh zu erkennen und mit passenden individuellen Schutzmaßnahmen zu konfrontieren. Die Tipico Gruppe veröffentlicht in ihrem jährlich erscheinenden Nachhaltigkeitsbericht den Anteil an Umsätzen, der problematischem Spiel zugeordnet werden kann.“
Style PASS hakt nach, wie hoch man meint, dass der Anteil von Menschen mit problematischem Spielverhalten liegen würde: „Dieser lag für das Gesamtangebot in Deutschland und Österreich im Jahr 2023 bei 1,6 Prozent“, so der Sprecher, diesen Prozentsatz versuche man „stetig zu reduzieren“.
Style PASS fragt weiter nach, wie das konkret umgesetzt werden würde bei Tipico, und siehe da, Tipico hat sogar konkrete Handlungsrichtlinien aufgestellt und erläutert gegenüber Style PASS: „Finden wir erste Hinweise auf eine solche Gefährdung, ergreifen wir die jeweils individuell passenden Maßnahmen. Das beginnt sanft – z.B. durch zusätzliche Information über Spielerschutz – wird zunehmend intensiver – z.B. durch Spielunterbrechungen und dezidierte Warnhinweise – und mündet schließlich, wenn die Risikoindikatoren weiter bestehen bleiben, in einem Spielerschutzgespräch mit einem unserer speziell ausgebildeten Mitarbeiter.“
Style PASS versucht das Geschehen einzuordnen
Style PASS wagt nach der Unterhaltung mit Tipico ein erstes Zwischenresümee und findet die Wortäußerungen der Sportwetten-Kritiker*innen dann doch etwas überzogen. Wenn etwa Konrad Landgraf, Landesstelle Glücksspielsucht Bayern, darauf verweist, eine Wetter*in könne den „Ausgang eines Spiels nicht vorhersagen“, so wirkt das davon außen betrachtet so, als hielte er Menschen, die Sportwetten tätigten für etwas bescheuert: „Dass man den Spielausgang auch mit großer Kenntnis einer Sportart und dem Leistungsniveau eines Sportler*in oder Mannschaft nicht vorhersagen kann, ist Menschen einer normalen Bildung sicherlich klar“, sagt Style PASS-Herausgeberin Eva Britsch und ergänzt: „Spätestens nachdem eine Wetter*in zum zweiten Mal den Wetteinsatz verzockt hat, sollte dieser Zusammenhang der Person geläufig sein!“
Wertschöpfungskette „EM“ - ohne Sportwetten?
Dass natürlich erstmal die Sportwetten-Anbieter*innen vom Geschäft mit den Sportwetten profitieren wollen, ist natürlich auch Style PASS klar. Anderseits gilt es zu überlegen, woher das Geld, mit dem die Europameisterschaft ausgerichtet wird, stammen sollte? Klar, Eintrittskarten zu den Spielen, Konzessionsrechte für die Übertragung der Spiele sowohl der Sender als auch beim Public Viewing, Merchandise-Artikel und Wurst-Stände, an denen die geneigten Fan*innen ihr Geld los werden sollen, reihen sich in die Phalanx der Wertschöpfungskette „EM“ ein.
Und wenn man genauer hinsieht, müssen auch kritische Fan-Organisationen akzeptieren, dass Sportwetten den Fußball in seiner Attraktivität fördert: Fan*innen können sich auch mit kleinen Einsätzen am Spielgeschehen beteiligen, können ihr Fachexpertenwissen einbringen und mit anderen Wetter*innen über Quoten und Co. fachsimpeln. Mal lockt der eine oder andere Gewinn, mal wird der Einsatz zum Teil oder ganz verzockt.
Klar, letzteres ist ärgerlich!
Anderseits sind auch andere Hobbys wie Segeln, Tennis oder Shopping für Menschen kostenintensiv und selbst bei auf den ersten Blick harmlosen Geschichten, wie H&M unsicher zu machen, besteht Suchtpotential, nämlich Kaufsucht.
Auch beim "Bundesministerium für Gesundheit" (BMG) will man die Bürger*innen vor sich selbst schützen. Der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung Burkhard Blienert macht den Kampf gegen Sportwetten offenbar zur Chefsache und erklärt gegenüber Style PASS: „Fußball ist für mich eine der schönsten Nebensachen der Welt. Wenn sich der Fußball aber an die Sportwetten kettet, dann ist das gefährdet, was ihn ausmacht: die Freude am sportlichen Wettbewerb und die enge Gemeinschaft von Vereinen, Sportlern und ihren Fans. Fußball und Glücksspiel passen einfach nicht zusammen. Sportwetten sind für zu viele Menschen der erste Schritt in eine Glücksspielsucht, die sie am Ende existentiell ruiniert, privat und beruflich ins Unglück stürzt durch sozialen Absturz, Krankheit und Jobverlust“, sagt Blienert und skizziert die Marktkraft der Sportwetten-Anbieter: „Durch Sportwetten wurden in Deutschland zuletzt 1,4 Milliarden Euro verzockt. Das ist fast doppelt so viel Geld wie vor zehn Jahren. Ich gehe davon aus, wenn jetzt das Fußballfieber immer weiter steigt, wird auch das Wettfieber steigen.“
Blienert kritisiert Werbung von Sportwetten-Anbietern und sagt gegenüber Style PASS: „Wer zurzeit die EM-Spiele schaut, kann sich der Werbung für den Sportwettenanbieter kaum entziehen, insbesondere auf Banden, in den Werbepausen und vor allem im Internet. Da ein Hauptsponsor aus dem Sportwettenbereich kommt, haben wir während dieser EM noch mehr Sportwettenwerbung als ohnehin schon. Ich finde das höchst ärgerlich. Die UEFA hat eine Verantwortung den Fans gegenüber.“
Beim BMG taxiert man von Glücksspielsucht betroffene Menschen, darunter zählt das BMG dann offenbar auch Menschen, die ihren Umgang mit Sportwetten nicht im Griff haben, auf etwa 1,3 Millionen Menschen bundesweit.
Hier zitiert man offenbar den „Glücksspiel-Survey 2023“. Der „Glücksspiel-Survey“ ist eine neue Bevölkerungsstudie zum Glücksspielverhalten in Deutschland. Sie wurde vom "Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung" (ISD) und der Universität Bremen durchgeführt. Der Glückspiel-Survey wurde gefördert vom "Deutschen Lotto- und Totoblock" (DLTB). Der Bericht steht in der Kritik aufgrund angeblich methodischer Fehler. Ob diese Kritik berechtigt ist, übersteigt unsere Kompetenz - dass widerstreitende Lobbyinteressen mitschwingen, scheint logisch. Und ganz so krass wie die Wett-Kritiker*innen die Gefährdung für die Jugend durch Werbung von Sportwetten einschätzen, scheint die Lage doch nicht zu sein: Der Bericht weist lediglich bei 0,4 Prozent der Jugendlichen ein problematisches Glücksspielverhalten aus.
Methodik und Schwarzmarkt
Auch bei der konkreten Einschätzung der Gefahr, die von Sportwetten ausgeht, gibt es offenbar einen Kampf um die Deutungshoheit über Zahlen, Daten und Fakten und den Heiligenschein, den man sich aufsetzen darf, wenn man die Bürger*innen vor Sportwetten schützt.
Der „Deutsche Sportwettenverband“ (DSWV) fordert deshalb eine gründliche Überprüfung der Methodik des Surveys, um sicherzustellen, dass die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen auf „soliden wissenschaftlichen Grundlagen“ basieren. Konkret fordert der Verband: „Wir fordern die Veröffentlichung der Rohdaten, da Transparenz der Datenerhebung und -auswertung von entscheidender Bedeutung für den wissenschaftlichen Diskurs ist. Zwischen den Erhebungsmethoden Telefon und Online gibt es erhebliche Unterschiede in den Ergebnissen: während bei telefonisch Befragten 0,4 Prozent eine Glücksspielstörung aufwiesen, waren es bei den online Befragten 6,4 Prozent. Aus solchen Ergebnissen kann keine Repräsentativität auf die Gesamtbevölkerung abgeleitet werden.“
Laut dem Survey 2023 ist die Teilnahme an Sportwetten seit 2021 zurückgegangen. Der DSWV geht allerdings davon aus, dass ein erheblicher Teil der aktiven Spieler inzwischen im Schwarzmarkt aktiv ist, weil die regulierten Angebote zu unattraktiv sind.
Wo wir wieder bei Tipico sind, die weiter zu Schutzmaßnahmen ausführen: „Jedes Spielerschutzgespräch endet mit einer konkreten Schutzmaßnahme. Diese definieren wir idealerweise gemeinsam mit dem Spieler, ergreifen diese im äußersten Fall aber auch gegen dessen Willen. Dazu zählt das Verhängen einer Spielersperre, die für alle Tipico Angebote umgesetzt wird, und über die anbieterübergreifende Sperrdatenbank OASIS auch bei allen erlaubten Anbietern in Deutschland wirksam wird.“
Style PASS schaut auf Konfliktlinien im Gutmensch-Kosmos
Style PASS fasst zusammen: Einerseits wird von den Sportwettenanbietern erwartet, dass sie suchtgefährdete Spiele*innen schützen, andererseits droht dann laut des Sportwettenverbandes, dass Spiele*innen in den Schwarzmarkt abwandern. Einerseits soll die EM möglichst attraktiv präsentiert werden und für Spieler, Funktionäre und alle kommerziell Beteiligten möglichst viel Mammon abwerfen, anderseits soll das Geld nicht von Werbepartner*innen aus der Sportwetten-Branche stammen. Einerseits wollen Fanorganisationen wie „Unsere Kurve“ eine möglichst diverse und selbstbewusste Fan-Szene fördern, blamen aber indirekt Menschen, die für sich entscheiden, Geld und Freizeit in Sportwetten zu investieren. Und teilweise mutet die Kritik an Sportwettenanbietern dann doch etwas überzogen an, findet Style PASS, und erweckt den Eindruck, man suche einfach ein Thema, um sich als Gutmensch zu profilieren.
Style PASS meint: Auch bei Sportwetten zählt das richtige Maß – wie bei allem im Leben!
Zu einem Report über „Wetten bei Tipico“ kommt Ihr HIER!