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„Gleichberechtigung muss vorangetrieben werden!

Häusliche Gewalt ist ein großes Thema in Deutschland. Die Dunkelziffer ist enorm, weiß Sina Tonk von TERRE DES FEMMES zu berichten. Style PASS sprach mit ihr über die aktuelle Situation.

Style PASS: Häusliche Gewalt in Deutschland – wie groß ist das Problem?

Sina Tonk: Es ist ein großes Problem! Seit Jahren und Jahrzehnten und es wird viel zu wenig getan. Jede vierte Frau wird einmal im Leben Opfer von häuslicher Gewalt. 2022 gab es einen Anstieg um mehr als 9 Prozent zum Vorjahr. Mehr als 126.000 Frauen waren betroffen. Da das Dunkelfeld enorm ist, hellt sich eventuell auch das Dunkelfeld etwas auf, da es mehr Sensibilisierung gibt, mehr Aufklärung. Der Anstieg in der Statistik könnte teilweise auch darauf zurückzuführen sein.

Style PASS: Was sind die Ursachen von häuslicher Gewalt?

Patriarchale Strukturen wirken bis heute. Es ist ja noch gar nicht so lange her, dass Frauen wählen dürfen, das war 1918/19, dass das Wahlrecht für Frauen eingeführt wurde. Bis 1997 war Vergewaltigung in der Ehe noch nicht strafbar. Oder der Mann der Haushaltsvorstand war und auch das letzte Wort bei Entscheidungen hatte – das wirkt sich bis heute aus.

Style PASS: Das wirft ja nicht das beste Licht auf Deutschland. Wir hinken beim Thema Gleichberechtigung hinterher?

Ja, wenn wir uns beispielsweise die Arbeitswelt ansehen, Frauen verdienen weniger als Männer, das wird durch den Gender Pay Gap aufgezeigt. Selbst in gleichen Berufen verdienen Frauen weniger. Sie arbeiten aber auch mehr in Teilzeit, als Männer. Grund hierfür ist die ungleichberechtigte Aufteilung der Sorgearbeit. Nach wie vor beantragen Frauen mehr Elternzeit und wenn sie wieder in den Beruf gehen, dann mit verringerter Arbeitszeit. Dafür gibt es den Indikator Gender Care Gap. Das zieht sich immer so weiter. Ein wichtiger Baustein, um Gleichberechtigung herzustellen, wäre die gerechte Aufteilung von Sorgearbeit, also von Kinderbetreuung und Hausarbeit.

Style PASS: Menschen orientieren sich immer an und in Gruppen.

Bis zur Geburt des ersten Kindes sind Beziehungen auch noch gleichberechtigter, unter anderem in Bezug auf die Arbeitsteilung im Haushalt. Wenn das erste Kind kommt, verändern sich Beziehungen stark. Zudem kann man, was Gleichberechtigung anbelangt, einen Backlash in vielen Ländern sehen, wozu auch die Corona-Pandemie beigetragen hat. Das wirft die Frauen und die Gleichberechtigung stark zurück. Um dem zu begegnen, sollten zum Beispiel schon sehr früh Rollenstereotype hinterfragt und abgebaut werden. Mädchen und Jungs werden nach wie vor unterschiedliche Dinge zugeschrieben.

Style PASS: Gibt es soziodemografische Parameter, etwa Bildungsniveau, Job, etc., die in Korrelation mit häuslicher Gewalt stehen?

Man kann häusliche Gewalt nicht an etwas fest machen. Männer aller Schichten können gewalttätig gegenüber ihrer Partnerin werden. Und tun das auch. Es gibt Risikofaktoren, die häusliche Gewalt auslösen können, wie Krisen, Änderung der Lebensverhältnisse oder Jobverlust. Aber es sind oft viele Faktoren die sich gegenseitig beeinflussen. Hier wäre wichtig unter anderem mehr präventiv zu arbeiten und auch die Täterarbeit auszubauen.

Style PASS: Gibt es Dunkelziffer-Schätzungen?

Wir gehen von 75 bis 80 Prozent Dunkelziffer aus – eine neue Studie dazu ist in Arbeit. Es ist also eine hohe Rate von Fällen, die nicht angezeigt werden. Gründe sind Scham, Angst oder Abhängigkeitsverhältnisse.

Style PASS: Wie kann man Gleichberechtigung voran treiben?

Auf unterschiedlichsten Ebenen muss gehandelt werden: Beim Thema Strafverfolgung, beim Thema Prävention, Schutz und der Gesetzgebung. Männer müssen mehr eingebunden werden. Es bestehen bis heute frauenfeindliche Gesetze, die abgeschafft werden müssen oder auch Regelungen, die zu falschen Anreizen führen, wie das Ehegattensplitting.

Style PASS: Rational Choice. „Rationale“ Entscheidungen spielen eine Rolle.

Es ist ein starkes Argument, wenn der Mann mehr verdient. Dann bleibt nach wie vor oftmals die Frau zu Hause. Wirtschaftlich gesehen ist das nachvollziehbar. Aber deswegen ist es so wichtig die Strukturen zu ändern, denn wenn sich das Gehaltsgefälle ändert, wenn der Gender-Pay-Gap geschlossen wird und der Gender-Care-Gap, dann werden Beziehungen gleichberechtigter und Frauen unabhängiger.

Style PASS: TERRE DES FEMMES fordert eine elektronische Überwachung von Annäherungsverboten. Wie funktioniert das genau? Gibt es dazu Beispiele im Ausland?

Spanien hat seit 2008/2009 die elektronische Fußfessel. Der Mann, von dem eine Gefahr ausgeht, trägt eine elektronische Fußfessel und die Frau ein Armband – seit Einführung wurde keine Frau in Spanien umgebracht, bei der die elektronische Überwachung des Annäherungsverbotes angewendet wurde .

Style PASS: Es gibt nach Angabe von Ihnen 14.000 fehlende Frauenhausplätze. Woran liegt das?

Es gibt viel, viel weniger Plätze, als wir bräuchten. Das liegt daran, dass es nicht bundeseinheitlich geregelt ist und es keinen Rechtsanspruch gibt. Die Bundesregierung ist derzeit daran einen Gesetzesentwurf für einen Rechtsanspruch zu erarbeiten, hierzu soll bald etwas kommen.

Style PASS: „Der Umgang mit den gemeinsamen Kindern darf nicht der Grund für eine dauerhaftes Gewaltrisiko für die Frau sein“, sagt Christa Stolle, Geschäftsführerin von TERRE DES FEMMES. Es wird eine gewisse Tendenz von Gerichten zugunsten des Mutter-Vater-Kind-“Ideals“ kritisiert?

Bei jeder zehnten Trennung kommt es zur so genannten Nachtrennungsgewalt. Wir fordern daher, dass das Umgangsrecht für den Mann ausgesetzt wird, denn gerade bei Übergaben kommt es häufig zu weiterer Gewalt, und im schlimmsten Fall dazu Männer ihre Expartnerin umbringen.

 

Lest ein weiteres Interview mit der Frauenrechtsorganisation TERRE DES FEMMES zum Thema "Frühehen" HIER!

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