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Frühehen sind keine Privatsache

Frauen für Frauen. Der Menschenrechtsorganisation TERRE DES FEMMES kann man wirklich nicht absprechen, dass sie das, was die Organisation verspricht, nicht leben würde: Rund 40 Frauen setzen sich hier tagtäglich für die Rechte ihrer Geschlechtsgenossinnen ein. Style PASS war zu Besuch und sprach mit Elisabeth Gernhardt, Referentin für „Gewalt im Namen der Ehre“, über das aktuelle Thema „Kinderehen“. Aktuell deshalb, weil das Bundesverfassungsgericht jüngst tätig wurde. Die Expertin sieht bei der frühen Eheschließung insbesondere die Rechte und Entwicklungsmöglichkeiten von Frauen geschädigt.

Style PASS: Style PASS dachte – in Deutschland darf man ab 18 heiraten, oder nicht?

Elisabeth Gernhardt: Tatsächlich darf man in Deutschland erst seit 2017 ausnahmslos ab 18 heiraten, bis 2017 durfte man in Deutschland mit Ausnahmeregelungen ab 16 heiraten. Das „Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen“ hat es auf Bundesebene einheitlich geregelt und auch gesagt, dass es untersagt ist, Minderjährige zu verloben, um einfach die Minderjährigen zu schützen.

Style PASS: Wo setzt TERRE DES FEMMES an?

Unter anderem mit einem Theaterstück, das das Thema reflektiert und an Berliner Schulen geht. Dabei merken wir, dass auch manche Lehrer*innen noch denken, dass Jugendliche ab 16 heiraten dürfen. Wir klären auf, dass eben auch die Verlobung unter 18 untersagt ist in Deutschland. Vornehmlich Mädchen werden in bestimmten Kulturkreisen früh verlobt oder verheiratet– das zementiert patriarchale Strukturen, die wir kritisieren. Wir machen natürlich auch politische Lobbyarbeit.

Style PASS: Auswirkungen für die Mädchen?

Sie werden früh in die Rolle der Ehefrau und Mutter gepresst. Die Eltern wollen nicht immer per se das Schlechteste. Aber: Die Persönlichkeitsentwicklung wird eingeschränkt, wenn man so früh in eine – zum Teil vorgegebene - Partnerwahl gedrängt wird. Die Mädchen lernen nicht, dass sie ein Recht darauf haben, sich ihren Partner frei aussuchen oder auch ganz eigene Wünsche und Lebensziele verfolgen zu können.

Style PASS: Sozialer Druck spielt in verschiedenen Kulturkreisen eine Rolle?

Ja, definitiv. Sich der Familie und ihren Traditionen unterzuordnen, steht mehr im Fokus als in einer freiheitlich-demokratisch geprägten Gesellschaft, wo Entfaltungsmöglichkeiten des Individuums stärker betont werden. Die Erziehung in streng patriarchalen Familien ist auch eher kollektivistisch geprägt, d.h., die Interessen der Familie stehen an erster Stelle - nicht unbedingt die persönlichen, individuellen Lebenspläne. Durch eine Frühehe werden Mädchen tendenziell früher Mutter und müssen dann ihre Rolle erfüllen. Die Frauen sind damit stärker ökonomisch vom Mann abhängig.

Style PASS: Aber auch für die jungen Männer kann eine arrangierte Frühehe unter Umständen doch nicht so dolle sein?

Natürlich können auch Jungs von Frühehen betroffen sein. UNICEF hat Zahlen herausgegeben, nach denen weltweit 640 Millionen Frauen minderjährig verheiratet wurden und 115 Millionen Jungen. Gerade auch homosexuelle Jungen sind betroffen, die mit einer Zwangsheirat wieder “auf den rechten Weg“ gebracht werden sollen.

Style PASS: Mädchen lernen auch nicht, über Sexualität zu reden?

Das kann mit rein spielen. Sexualität wird teilweise stark tabuisiert und ist zumeist nur innerhalb der Ehe möglich. In streng patriarchalen Strukturen sind voreheliche sexuelle Erfahrungen auch nicht erlaubt. Das schränkt den Bezug zum eigenen Körper und zur eigenen Sexualität ein. Es gibt auch Studien, die aufzeigen, dass Frauen häufiger von häuslicher/sexualisierter Gewalt betroffen sind, wenn sie minderjährig verheiratet wurden.

Style PASS: Warum musste das Bundesverfassungsgericht nun aktiv werden?

Das „Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen“ hat sich 2017 auch dem Thema angenommen, wie man mit minderjährigen Eheleuten und deren Ehe umgeht, wenn sie bspw. als Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Konkreter Anlass war der Fall, bei dem ein syrisches Paar 2015 nach Deutschland einreiste. Sie war 14, er 21 – beide miteinander verheiratet. Das Jugendamt trennte die beiden und nahm das Mädchen in Obhut – der Ehemann klagte. Das Gesetz regelt nun derartige Frühehen: Je nach Alter bei der Eheschließung werden die Ehen nun als „unwirksam“ oder „aufhebbar“ definiert, um den Minderjährigenschutz zu verstärken. Damit wurde die vorherige Einzelfallentscheidung aufgehoben. Seit Ende 2018 lag die Frage beim Bundesverfassungsgericht, ob es rechtens ist, wenn im Ausland wirksam geschlossene Ehen in Deutschland für unwirksam erklärt werden. Denn die Ehe steht im Grundgesetz unter einem besonderen Schutz. TERRE DES FEMMES hat sich sehr gefreut, dass das Bundesverfassungsgericht die generelle Nichtigkeit von Frühehen mit unter 16-Jährigen prinzipiell für verfassungskonform erklärt hat. Es bedarf aber Anpassungen, zum Beispiel in der Frage wie es mit den Auswirkungen auf die jungen Frauen, wie Unterhaltsansprüche, aussieht. Wie geht es für Frauen weiter, die nicht mehr verheiratet sind?

Style PASS: Was sagt das Gericht?

Mädchen, die mit unter 16 Jahren im Ausland geheiratet haben und deren Ehe demzufolge in Deutschland „nichtig“, also inexistent ist, erhalten nun bis zu einer endgültigen gesetzlichen Anpassung familienrechtliche Ansprüche wie bei einer Scheidung. Hier gibt es nun weiteren gesetzlichen Handlungs- und Regelungsbedarf, da das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber aufgefordert hat, bis spätestens 30. Juni 2024 nachzubessern

Style PASS: TERRE DES FEMMES hat eine eigene Meinung, ab wann man heiraten sollen darf?

Nein. Also, wir orientieren uns da an der deutschen Regelung „ab 18“. Aber natürlich in Abwesenheit von Zwang. Denn natürlich kann auch auf über 18- Jährige Druck ausgeübt werden. Eine Zwangsverheiratung von Volljährigen ist ja auch eine Menschenrechtsverletzung.

Style PASS: Hat TERRE DES FEMMES für Ihr Engagement in diesem Bereich nur Applaus geerntet, oder gab es auch Kritik?

TERRE DES FEMMES stand in der Tat recht alleine da und wir wurden viel kritisiert, dass wir die generelle Nichtigkeit von Frühehen mit unter 16-Jährigen befürworten.

Style PASS: Zum Beispiel?

Das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht hat beispielsweise dazu eine andere Meinung. Sie verweisen auf das internationale Privatrecht und befürworten Einzelfallentscheidungen statt generelle Nichtigkeit. Für TERRE DES FEMMES ist jedoch essentiell, dass der deutsche Staat die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau zu schützen und weiterzuentwickeln hat. Wie gesagt, von Frühehen sind mehrheitlich Mädchen betroffen. Sie werden durch eine frühe (minderjährige) Eheschließung in vielen Rechten beschränkt.

Style PASS: Ein sehr diffiziles Thema!

Ja. Betroffene Mädchen und Frauen müssen hier in Deutschland natürlich aufgefangen und umfassend beraten werden. Das eine ist das Rechtliche, das andere natürlich die individuelle Hilfestellung.

Style PASS: Der Wunsch von TERRE DES FEMMES?

Dass jedes Mädchen, jede Frau, aber überhaupt auch jeder Mensch selbst bestimmen kann, ob, wann und wen er oder sie heiraten möchte. Aber auch, dass tradierte, patriarchale Denkmuster kritisch hinterfragt werden, sodass jedes Mädchen frei, selbstbestimmt und gleichberechtigt leben kann.

 

Bild: TDF

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