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Das wahre Leben findet offline statt

Der Klick auf Facebook ist für viele heute so natürlich wie sich die Zähne zu putzen. Das Internet eröffnet viele Chancen, aber auch Risiken. Von Sozialen Netzwerken aber auch Pornos können Menschen durchaus süchtig werden – Style PASS sprach mit Dr. Kai Müller vom „Fachverband Medienabhängigkeit“ über Störungsbilder und die Risiken von Liebe via Facebook.

Style PASS: Warum braucht es einen Fachverband Medienabhängigkeit? Was sind die Ziele des Verbandes? Wer arbeitet mit?

Dr. Kai Müller: Wir arbeiten im Vorstand alle ehrenamtlich. Ich persönlich arbeite hauptberuflich als Psychologe in einer Ambulanz für Spielsucht. Der Verband ist inzwischen 15 Jahre alt. 2008 hatten wir die ersten Fälle von „Internetnutzungsstörungen“. Das war ein ganz neues Feld. Der Verband ist sozusagen aus der Not geboren. Wir sehen uns auch als Vernetzungsstelle für den fachlichen Austausch, machen auch Lobbying in Richtung Politik und Gesellschaft. Da geht es beispielsweise um Versorgungsstrukturen für die Betroffenen.

Style PASS: Ist Medienabhängigkeit inzwischen klar definiert?

Ja. „Internetnutzungsstörung“ nennen wir die „Medienabhängigkeit“ vom Wissenschaftlichen her, eine relevante Variante ist die Spielsucht, hierfür gibt es klar definierte Indikatoren.

Style PASS: Wenn ich zu Ihnen kommen würde, würden Sie mich fragen, wie lange ich täglich in den Sozialen Medien „abhänge“?

An Zeiten macht man Suchtverhalten nicht fest, sondern inwiefern die Kontrolle über das Konsumverhalten noch gegeben ist.

Style PASS: Wie viele Menschen in Deutschland sind nach Meinung des Fachverbandes „medienabhängig"? Wie alt sind die jüngsten Fälle?

Ein bis zwei Prozent. Unter jüngeren Altersgruppen deutlich höher. Durch Corona wurden die Zahlen nochmal gesteigert.

Style PASS: Können Sie die Bandbreite etwas schildern?

Internetsucht ist ein Sammelbegriff. Das Suchtverhalten bezieht sich auf spezifische Verhaltensweisen. Die suchtartige Nutzung von Online-Computerspielen, Online-Pornografiesucht kommt oft vor. Die suchtartige Nutzung von sozialen Netzwerken kommt bei Frauen deutlich häufiger vor, einschließlich Online-Kaufsucht.

Style PASS: Style PASS hatte mit dem Spielwetteranbieten Tipico gesprochen, hier wurde Style PASS auf die vielen rechtlichen Vorgaben hingewiesen, die Tipico zu erfüllen hat, etwa, dass man dort keinen Alkohol trinken darf. Im Internet ist der Regelungsbedarf sicher nicht ganz so ausgeprägt?

Davon ist auszugehen. Alkohol darf man dort nicht verzehren, damit die Leute nicht zu lange verweilen. Im Internet sind Sportwetten natürlich auch von zu Hause aus möglich, man kann diese auch „heimlich“ vollziehen. Teilweise ist der Geschäftssitz der Anbieter auch nicht in Deutschland, so dass andere Regularien gelten, insofern ist Online-Glücksspiel als gefährlicher einzuordnen.

Style PASS: Man kann auch von staatlichem Glücksspiel süchtig werden?

Ja, das kommt schon vor. Allerdings durch die dort geltenden Regularien nicht so häufig – diese wirken wie positive „Puffer“.

Style PASS: Eine Bekannte wettet bei Lotto immer auf die Geburtstage ihrer Geschwister und Kinder, einmal hatte sie vergessen, zu tippen, da hat sie sich schon Sorgen gemacht.

Das ist nicht als Suchtverhalten zu sehen, weil es sich bei der Sorge um eine begründete Sorge handelte, da in der Woche ja die Zahlen hätten gezogen werden können. Dabei handelte es sich eher um eine „Realangst“. Glücksspiele gibt es schon ewig und sind per se auch nicht verwerflich, allerdings sehe ich es schon als sehr wichtig an, dass über die vorhandenen Gefahren, etwa im Hinblick auf ein Suchtverhalten, aufgeklärt wird und die Glücksspielprodukte auch einer gewissen Regulierung unterliegen.

Style PASS: Wo ist der Unterschied?

Ein Süchtiger möchte einfach weniger glücksspielen, kann es aber nicht und weiß auch, dass sein Verhalten, der exzessive Gebrauch des Internets ihn in Schwierigkeiten bringt. Das Wissen ist vorhanden, aber die Patient*innen können nicht anders.

Style PASS: In einem von Ihrem Verband kritisiertem „Free-to-Play"-Computerspiel sage eine Zeichentrickfigur „Immer noch Probleme? Schau beim Händler vorbei und kauf Dir was krasses". Der Verband kritisiert, die Figur setze „mit außergewöhnlich zynischem Humor Konsum einer Problemlösestrategie gleich." Was ist Ziel und Zweck dieser „Free-to-Play"-Computerspiele?

Hier gibt es indirekte Monetarisierungsstrategien. Das Problem bei vielen dieser Spiele ist, dass sie versteckte Kostenfallen integriert haben, es kommt hierdurch zu exzessiven Spielzeiten, aber auch durch den Zukauf von „Items“ dazu, dass sich Menschen finanziell übernehmen.

Style PASS: Was ist das Tolle daran, auf dem Handy irgendwelche virtuellen Münzen zu haben?

Die sind halt im Regelfall für irgendwas gut. Man kann sie beispielsweise dazu nutzen, um im Spiel schneller Aufgaben zu lösen und im Ranking aufzusteigen.

Style PASS: Sehr intelligent gemacht!

Gebe ich Ihnen Recht. „Gamedesign“ ist inzwischen an einigen FHs ein Studiengang. Hier sind psychologische Komponenten integriert, wie Verstärkereffekte.

Style PASS: Kritisiert der Verband diese Studiengänge?

Nein, an sich nicht. Aber aus unserer Sicht fehlt ein Ehrencodex, wie mit gewissen psychologischen Tools umzugehen ist, um Suchtpotential zu minimieren. Der Markt und die Computerspielindustrie sind immens groß.

Style PASS: Für Eltern ist es auch nicht einfach. Es gibt ja gewisse Zwänge und in dem Moment, wo alle Klassenfreunde ein tolles Smartphone haben, ist es sicherlich schwierig, dann zum eigenen Kind zu sagen: „Das kriegst Du jetzt nicht“! Und wenn alle auf dem Schulhof über das neueste Free to Play-Spiel reden und ich kein Handy habe, bin ich ja das blöde „Öko“-Kind, das nicht mitreden kann.

Es ist schwierig für Eltern. Ich würde das allerdings etwas relativieren. Das „Öko-Kind“ ist lediglich in einem Bereich kommunikativ nicht so anschlussfähig, aber es gibt auch andere Dinge, über die Kinder reden können. Ein gewisses Außenseitertum ist für das Kind natürlich gegeben und das ist auch kein schönes Gefühl. Es müsste sich eine gesamtgesellschaftliche Haltung entwickeln. Etwa, dass Handys auf dem Schulhof wirklich nur für die Kommunikation mit Eltern oder Vertrauenspersonen genutzt werden dürfen. Ab welchen Alter Kinder ein Handy haben sollten? Mit sechs, sieben Jahren ein Handy zu haben, ist eindeutig zu früh.

Style PASS: In einem Style PASS-Interview kritisiert die Publizistin Antje Sievers den Austausch von Pornos auf Schulhöfen und den dadurch gesteigerter Druck, insbesondere auf junge Mädchen, was Sexualpraktiken anginge. Beschäftigt sich der Verband auch mit diesem Thema?

Eine zu frühe Konfrontation mit expliziter Sexualität, mit Dingen, die Kinder und Jugendliche nicht fassen können, weil sie nicht darauf vorbereitet sind, wie Pornos, kann zu massiven Problemen in der Entwicklung führen. Der Austausch von Pornos auf Schulhöfen findet in der Tat statt, aber auch über die Google-Bildersuche können Kinder schon genug krasse Dinge finden. Altersunangemessene Inhalte können zu internalisierten Fehleinschätzungen führen. Eltern müssen versuchen, mit ihren Kindern in Kontakt zu bleiben, damit eine gewisse „sexuelle Objektivität“ gewahrt bleibt.

Style PASS: In einer liberalen Bürgergesellschaft, die Deutschland ja sein will, ist das immer so eine Sache mit Verboten. Welche Grenzen hält der Fachverband für sinnvoll?

Pragmatisch gesprochen, kenne ich keinen Weg, wie man das staatlich alles sinnvoll regeln könnte. Ich bin gegen eine Verbotsgesellschaft, aber man sollte sich als Gesellschaft vergegenwärtigen, welche Effekte Online-Pornografie etwa auf Kinder hat. Kommunikation in Schulen ist sicherlich sinnvoll.

Style PASS: „Betrug" und emotionaler Missbrauch im Internet. Auf Social Media, zum Beispiel Facebook, werden mitunter junge Mädchen, aber auch Jungs „gegroomt". Es gibt Fälle von Frauen, denen die wahre Liebe via Facebook vorgegaukelt wurde und die ihre gesamten Ersparnisse wildfremden Männern überwiesen haben.

Ja, ich bin auch immer wieder platt, wie oft auch dieser „Enkeltrick“ funktioniert. Teilweise wird das soziale Leben auf soziale Netzwerke verlagert. In „real life“ bringen diese Menschen bei Begegnungen mit Fremden schon ein gewisses Misstrauen mit, aber im Online-Kontakt ist es eine 180-Grad-Wende. Online gehen sie sehr viel schneller ins Vertrauen. Sie empfinden Online-Bekanntschaften viel schneller als intim und erfüllend, so das Label „Seelenverwandt“.

Style PASS: Wie können die Kommunikationskompetenz und Menschenkenntnis gesteigert werden?

Sich konkreten Situationen zu stellen. Weg von online auf offline. Zum Beispiel Produkte nicht online bestellen, sondern mit dem Verkäufer*in im Shop direkt sprechen. Alleine irgendwo einen Kaffee oder einen Wein trinken und mit Leuten ins Gespräch kommen. Kinder in Sportvereine schicken, anstatt vor der Konsole sitzen zu lassen.

Style PASS: Ihre persönliche Motivation, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen?

Als Kind habe ich Computerspiele gespielt, aber nur im sehr überschaubarem Ausmaß. Ich kam als Psychologe eher zufällig zu dem Thema und war von Anfang an überrascht, dass viele Patientinnen einen großen Leidensdruck haben und Lebensperspektiven ruiniert werden. Es ist ein unentdecktes Störungsfeld und da ist meine Neugier geweckt, mehr herauszufinden.

 

Style PASS sprach mit Dr. Christian Spreckels, Autor von „Kopfsache Fußball“

„Martina Voss-Tecklenburg finde ich sensationell“

Er coacht Clubs und Sportler. Dr. Christian Spreckels hat die Passion für die Leistungssteigerung zur beruflichen Passion ausgebaut – aktuell hat er seine gesammelten Kenntnisse im Buch „Kopfsache Fußball“ veröffentlicht. Style PASS sprach mit Spreckels über Tricks und Kniffe beim Thema Leistungssteigerung und wie er Martina Voss-Tecklenbrg findet.

Mit Dr. Christian Spreckels sprach Style PASS-Herausgeberin Eva Britsch

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