People, Leute & VIPs

Oh Boys!

"Wir sind wieder... wer?", titelte der SPIEGEL im Sommer, einen Tag, nachdem die deutsche Nationalmannschaft nun wirklich endlich einmal wieder so ganz richtig den Weltmeistertitel erspielt hatte.

Zum vierten Mal in der Geschichte des Fußballs.

Die Überschrift sollte ausdrücken, dass das neue deutsche Selbstbewusstsein, das sich auf den Straßen nach der Weltmeisterschaft 2006 zurecht geruckelt - und gefeiert hatte, noch nicht ganz weiß, was es eigentlich mit sich anfangen soll. "Wir" sind auf jeden Fall dabei bei der internationalen Party und dürfen meistens sogar auflegen, aber der Dresscode ist noch nicht ganz klar.

Wir sind Weltmeister. Okay, super, geil, großartig - warum auch nicht, das kriegen wir hin, wir waren schließlich auch schon mal Papst.

Wir sind Weltmeister heißt also: Im Moment des Glücks, in jener 113. Minute, in der Mario Götze den Ball an Argentiniens Torwart Sergio Romero vorbei ins lange Eck jagte, verschmolzen wir, das Publikum im Stadion, die Zuschauer vor dem Fernseher, die Fans im ganzen Land und die Expats vor ihren mobilen Endgeräten in Schanghai in einer Metaexplosion des kollektiven Glücks, die aus uns ein Wir machte, das fortan Weltmeister war. Die Nicht-Fans und Fußballverweigerer wurden gleich noch mit eingesaugt in diese Glücksexplosion, einfach, weil sie auch Deutsche sind.

Aber wer sind wir, wenn wir Weltmeister sind?

Stellen wir uns vor, wir wären Thomas Müller. Dann wären wir auf jeden Fall schon einmal männlich; das mag redundant erscheinen, ist aber ziemlich wichtig in der komplizierten Identitätsmaschinerie des "Wir", und es stürzt einen in definitorische Abgründe, die sich nur dadurch beheben zu lassen scheinen, dass wir die Spielerfrauen noch mit einbeziehen in die Riege derer, die den Ton angeben in der "Wir-Wolke" des deutschen Kollektivweltmeistertums, denn in Deutschland gibt es ja auch Frauen.

Dann wäre unser Führungs-Wir gleich paritätisch besetzt, es hat ja in der Regel jeder Spieler genau eine Frau.

Ich glaube, Thomas Müller zu sein, wäre okay. Ich stelle mir das ein Bisschen so vor, wie Bambi zu sein, aber erst nachdem ihm die Geweihstummel gewachsen sind und er mit seinem ungewohnten jungen Hirschkörper durch den Disneywald springt. Irgendwie sexy und alle mögen einen. Wir wären bodenständig, heterosexuell und hätten Verständnis für die Emanzipation, ja, wir würden sie sogar aktiv unterstützen. Schließlich beschwert sich auch Müller nicht, wenn seine Frau Lisa, statt in Brasilien mitzubangen, wenn er blutüberströmt zu Boden geht, zuhause bleibt, weil sie sich als Profireiterin um ihre Pferde kümmern muss.

Wir Deutschen wären des weiteren Familienmenschen, denn die Eltern Müller sind offensichtlich total niedlich und die Mutter hat einen Kurzhaarschnitt, der ihr super steht und wäscht in ihrer Freizeit begeistert das Trikot ihres Sohnes, obwohl sie selbstständige Unternehmensberaterin und somit ebenfalls total emanzipiert ist, und nach Brasilien sind Mama und Papa auch angereist, sie gucken sich alle Spiele zusammen an. Außerdem wären wir extrem wohlhabend und würden auf sympathisch-verpeilte Weise gut aussehen. Und weil wir ja schon festgestellt haben, dass die Spielerfrauen unbedingt mindestens genauso konstitutiv für unsere Kollektividentität sind wie die Fußballmänner selbst, wären wir noch ein bisschen besser aussehend, Lisa Müller ist schließlich sehr hübsch, und wahrscheinlich wären wir so sportlich, dass sich die Schweizer in Zukunft wirklich Sorgen machen sollten, wenn das nächste Mal ein deutscher Finanzminister mit der Kavallerie droht.

Ja, ich glaube, es wäre ziemlich okay, Familie Müller zu sein.

 

 

Autorin Hannah Lühmann über die Bodenständigkeit von Nationalspieler Thomas Müller