People, Leute & VIPs

Ganzheitliches Denken für individuelle Stärke

Halbe Sachen scheinen nicht das Ding von Martina Voss-Tecklenburg zu sein, seit bald zwei Jahren Trainerin der deutschen Frauenfußball-Nationalmannschaft: Pünktlich klingelt sie zum Telefoninterview durch, während des Talks kommt ein DFB-Mitarbeiter vorbei und in entspanntem Ton wird ein Kaffee angeboten. Alles im Griff? Im Gespräch mit Style PASS online ergibt sich das Bild einer fokussierten Frau abseits von Trainerinnen-Klischees. Der differenzierte Blick und ganzheitliche Ansätze für ihr Team scheinen Voss-Tecklenburg mehr zu liegen als Eindimensionales. Auch wenn bei ihr am Ende das Runde im Eckigen landen soll.

Style PASS online: Ihr Trainer-Kollege Helmut Schön schickte seine Nationalspieler schon mal kollektiv in die Operette, einem Ondit zufolge waren die nicht sonderlich begeistert. Was empfehlen Sie den Frauen in Ihrem Team, vielleicht Ravels „Bolero“?

Martina Voss-Tecklenburg: *lacht* Der „Bolero“ ist wirklich eine meiner Lieblingskompositionen aus der klassischen Musik. Ja, wir schauen, dass wir unterschiedlichste kulturelle Angebote machen. Wenn wir verreisen, versuchen wir Land und Menschen näher zu kommen und kennenzulernen. Für den Teamgeist kann es durchaus hilfreich sein, sich einmal die Funktionsweise eines Orchesters anzusehen: Jeder ist auf jeden angewiesen – das Ergebnis stimmt nur, wenn alles ineinandergreift. Den Blick über den Tellerrand halte ich für wichtig.

Style PASS online: Inwieweit sind solche Gemeinschaftserlebnisse wichtig für den Erfolg, oder sind sie eher zweitrangig?

Input durch andere Themen zu bekommen, halte ich für sehr wichtig. Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Themen hilft den Spielerinnen, ihre Stärken auszubauen und neue hinzuzugewinnen. Vor dem Spiel in England waren wir beispielsweise in einem Kloster und haben Nonnen besucht – der Umgang der Spielerinnen mit den Nonnen und umgekehrt hat mich persönlich sehr begeistert. Da trafen zwei Generationen aufeinander, und am nächsten Morgen setzten sich die Spielerinnen noch mit dieser so unterschiedlichen Lebenswelt intensiv auseinander.

Für die individuelle Persönlichkeitsentwicklung halte ich solche Erlebnisse für extrem wichtig. Wenn es mal schwierig wird im Spiel, zeigt sich, wie stark jemand wirklich ist. Da spielt die individuelle Stärke natürlich eine große Rolle.

Style PASS online: Wohin tendiert der Frauenfußball? Mir scheint aufzufallen, dass die Spielweise in den letzten Jahren national und international zunehmend körperbetonter wurde. Trügt mich mein Eindruck?

Der Frauenfußball ist wie der Männerfußball athletischer geworden. Die Spielgeschwindigkeit hat zugenommen. Das eine bedingt das andere. Wir haben heute viele Spielerinnen, die auf professionellem Niveau sechs Mal die Woche trainieren können. Alles ist professioneller geworden.

Style PASS online: Die Nationalmannschaften sind näher zusammengerückt, die Spitze wurde breiter, kann jeder jeden schlagen?

Prinzipiell schon *lacht*. Insgesamt muss man dennoch differenzieren; in den „Top 20“ kann schon jeder jeden schlagen, da spielen aber natürlich auch „Tagesform“ und „glückliche Umstände“ eine Rolle. Natürlich gilt nach wie vor: Wenn die USA zehn Mal gegen Schottland spielen, dann gewinnen wohl neun Mal die USA.

Die Leistungsdichte ist definitiv enger geworden – aber, das ist ja auch das, was wir im Frauenfußball wollten! Wir müssen Strukturen verbessern, um die Leistung weiter zu verbessern.  

Style PASS online: Welche Konsequenzen zieht eine Nationaltrainerin daraus, wie kann sich das eigene Team dennoch profilieren?

Wir haben einen ganzheitlichen Ansatz: Nachwuchsförderung, Top-Trainer - nicht nur bei der Nationalmannschaft, auch in den Vereinen. Ich bin der Meinung: Je individueller ein Talent ausgebildet wurde, desto größer ist der Erfolg im Team. Wir haben eine sehr junge Mannschaft und schauen nach vorne mit vielen Bausteinen, so dass wir für die WM 2023 top aufgestellt sind.

Style PASS online: Woraus resultiert der anhaltende Erfolg der USA-Nationalmannschaften?

Es gibt mehrere Gründe: Die USA ist die Nation mit den meisten Spielerinnen – über vier Million Aktive gibt es dort! Sie haben es geschafft, den Frauenfußball erfolgreich zu etablieren. Man muss dazu sagen, dass der männliche „soccer“ dort eine nicht so große Rolle spielte. Die Nachwuchsförderung war zudem sehr, sehr gut. Über den Erfolg kam die Sache in Bewegung.

Man hat aber auch extrem starke Persönlichkeiten unter den Spielerinnen. Diese „Gewinnermentalität“ ist bei den Amerikanerinnen total da. Die Frauen haben ein sehr großes Vertrauen in die eigene Stärke. Zudem ist der Sport fester Bestandteil des Bildungssystems.

Style PASS online: Sie selbst waren als Spielerin „nur“ Vize-Weltmeisterin. Das stachelt doch die Nationaltrainerin Voss-Tecklenburg an, die Krone zu erringen. Welche Leitlinien geben Sie vor, vielleicht noch stärker den Kombinationsfußball pflegen, oder doch eher die robuste Spielweise?

Wir haben sehr gut ausgebildete Spielerinnen. Die Themen „Spielgeschwindigkeit“ und „Initiative“ werden Erfolgsfaktoren sein. In der Analyse haben wir festgestellt, dass Initiative zu zeigen, Erfolge bringt, auch wenn man nicht im Ballbesitz ist. Auch hier gilt ein ganzheitlicher Ansatz: Wir wollen flexibel sein!

Aber ich will vor allem Freude sehen! Spielerinnen, die selbstbewusst sind, die keine Angst vor Entscheidungen haben. Wenn man Druck als „Angstfaktor“ empfindet, kann man keine Spitzenleistung bringen.

Style PASS online: Wie schätzen Sie das Standing der Frauen-Nationalmannschaft im DFB ein? Beim Ex-Präsidenten Dr. Theo Zwanziger hatte ich den Eindruck, dass seine Frauenförderung eher einer jovialen Pose folgte.

Seit den knapp zwei Jahren, wo ich dabei bin, kann ich nichts Negatives sagen. Wir haben eine große Akzeptanz, tauschen uns gut aus. Wir profitieren voneinander; ich kann einfach mal Jogi Löw anrufen und fragen: „Wie macht Ihr das?“ Wir schieben viele neue Projekte im Bereich Mädchen- und Frauenfußball an. Und: Wir wollen eigentlich nur noch vom „Fußball“ sprechen und nicht immer diese Trennung haben. Theo Zwanziger stand wirklich hinter dem Frauenfußball und hat da viel vorangebracht, da muss ich Ihnen insofern in Ihrer Wahrnehmung widersprechen.

Style PASS online: Inwieweit hängt die Qualität der Spielerinnen auch vom Gehaltsniveau ab?

Die Qualität einer einzelnen Spielerin hat nichts mit Geld zu tun ... ABER: Wenn ich meine Existenz mit dem Fußball bestreiten und davon leben kann, ist das natürlich leistungsfördernd. Wenn ich nebenbei noch voll arbeiten muss, kann ich mich auch nicht ausreichend regenerieren, um die Leistung dann auch zu bringen. Die USA ist eine der wenigen Nationen, wo Frauen mit dem Sport hohe Vermarktungserlöse erzielen. In vielen anderen Nationen schafft das der Frauenfußball noch nicht. Junge Mädchen müssen in Zukunft die gleichen Fördermöglichkeiten haben wie die Jungs. Verbände müssen eine klare Haltung zum Thema Vermarktung haben. Da gibt es noch ein bisschen was zu tun.

Style PASS online: Dem Männerfußball entkommen die Bürgerinnen und Bürger über Spielübertragungen, Talkshows, Bücher und Werbung kaum – beim Frauenfußball ist noch Potential nach oben – woran liegt’s?

Wir haben auch tolle Erfolge in anderen Sportarten und auch dort nimmt der Sport nicht den Raum des Männerfußballs ein. Der Fußball boomt in Europa und hat Tradition – der Männerfußball hat 100 Jahre Vorsprung im Vergleich zum Frauenfußball. Aber ich merke, dass sich auch beim Thema „mediale Berichterstattung“ etwas bewegt; es gibt mehr Interesse und Nachfrage. Wir wollen weiterhin mit Leistung überzeugen und auf realistische Chancen setzen.

Wir haben tolle Frauen, über die es sich lohnt zu berichten und denen man zuhören sollte.

Style PASS online: Was muss auf struktureller Ebene noch gemacht werden?

Wir brauchen auch Leute, die sich engagieren möchten. Wir brauchen im Bereich „Ehrenamt“ mehr Anreize, wir brauchen mehr gut ausgebildete Trainerinnen und Trainer. Wir brauchen auch mehr Frauen in Führungspositionen. Das Ehrenamt muss wie gesagt gestärkt, Anreize müssten gesetzt werden: Eine Idee ist beispielsweise die Anrechnung von Rentenpunkte für ehrenamtliche Tätigkeiten. Wir brauchen aber auch Frauen, die die Förderung dann annehmen. Selbstbewusste weibliche Vorbilder helfen da.

Style PASS online: Frauenfußball und Integration?

​Integration spielt im Frauenfußball eine ebenso große Rolle wie im Männerfußball. Fußball bietet da große Chancen, denn es ist eine Sportart, die jedem offen steht und nicht viel Geld kostet. Aber auch hier brauchen wir noch mehr Menschen, die ehrenamtlich etwas tun für andere. Das muss wie gesagt stärker gewertschätzt werden.  

Style PASS online: Wo steht der deutsche Frauenfußball in zehn Jahren?

Auch in zehn Jahren wird es sicherlich noch Herausforderungen und Optimierungsmöglichkeiten im Frauenfußball geben, über die man innerhalb eines Interviews sprechen könnte. Das Ganze ist ein Prozess. Aber ein positiver.

Style PASS online dankt Ihnen für das Gespräch und wünscht Ihnen und dem Team weiterhin viel Erfolg.

 

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg im Gespräch mit Style PASS-Herausgeberin Eva Britsch

Chefin auf der Insel der Glückseligen

Gerade ist wieder der Vorschlag in die politische Arena geworfen worden, große Unternehmen zu einer Quote zu verpflichten: Mehr Frauen in die Vorstände. Momentan hat es gerade einmal eine Frau zum CEO geschafft, Belén Garijo, der Pharma- und Chemiekonzern Merck darf sich mit der Vorreiterrolle schmücken.

Der Journalist Eckhard Britsch ist begeistert von der Neuseeland-Chefin

Weiterlesen