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„Die Frau, das Wunderwesen“

Klar, meinungsstark, humorvoll, so kommt Antje Sievers nicht nur auf ihrer Facebook-Seite rüber, wenn sie sich aktiv gegen Prostitution einsetzt, sondern auch im Gespräch mit Style PASS online, wo sie von ihrem aktuellen Roman, „Die Judenmadonna“, erzählt. Ein ambitioniertes Romanprojekt ist es, für das sie viel recherchiert und sich in vergangene Zeiten versetzt hat. Der Roman thematisiert die unschönen Seiten von Religion, keine Liebesschmonzette also, aber dennoch etwas für Romantiker und Romantikerinnen, die nicht nur unterhalten werden wollen, sondern die auch ein ernsthafter Blick auf Geschichte interessiert.

Style PASS online: Liebe Antje Sievers, Sie sind Publizistin und engagieren sich im Bereich „Frauenrechte“. Aktuell sorgen Sie mit einem ambitionierten historischen Roman, „Die Judenmadonna“, für Aufsehen. Was war Ausgangspunkt, sich ins Jahr 1473 hinein zu versetzen?

Antje Sievers: Ausgangspunkt waren Reisen ins Elsass, in den alten, wunderschönen Dörfern um Straßburg springt einem die Geschichte entgegen. In der Dominikanerkirche in Colmar habe ich das Bild der „Madonna im Rosenhag“ gesehen, irgendwann kam ich auf die Idee: „Wie wäre es, wenn eine Jüdin für dieses Bild Modell gestanden hätte und der Maler nichts davon wusste“. Die Inspiration habe ich aus der Landschaft und der jüdischen Geschichte geschöpft, die in den Dörfern nachvollziehbar ist. Ich habe mich mehr wie eine Historikerin bei der Recherche gefühlt, denn eine Autorin *lacht*.

Style PASS online: Eine Liebe vor dem Hintergrund konfessioneller Unterschiede – ein Colmarer Maler verliebt sich in eine Jüdin, zur damaligen Zeit gesellschaftlich verpönt. Schon in Ihrem – leicht autobiografisch – angehauchten Buch „Tanz im Orientexpress“ spielt die Religion, hier der Islam, eine Rolle. Ein Thema, das Sie immerwährend umtreibt?

Sievers: Religion an und für sich interessiert mich nicht so sehr. Mich interessiert eher die Historie, wie war das Alltagsleben? Welche Auswirkungen hatte die Trennung zwischen Juden und Christen? Je mehr ich recherchiere, frage ich mich aber, warum in allen drei monotheistischen Religionen die Frau eine zweitrangige Rolle einnimmt? Frauen werden in vielen Religionen in die Rolle der Erzeugerin gedrängt, viele wissen nicht, dass im Judentum gilt: Je mehr Kinder eine Frau hat, als desto gläubiger gilt sie.

Style PASS online: Noch heute gilt bei orthodoxen Juden: Wenn eine Frau sich von ihrem Mann trennen will, muss dieser zustimmen!

Sievers: Ja, das ist so, dies gilt unter orthodoxen Juden und das ist archaisch, wie sie lieben. Für viele Juden in größeren Städten ist das allerdings so fremd wie Ihnen und mir.

Style PASS online: Wir wollen die Sache beim Namen nennen: In vielen Religionen wird die Frau direkt oder indirekt, bewusst oder unbewusst, unterdrückt. Woher kommt die Motivation, mit Hilfe einer Religion Frauen in eine Rolle zu drängen?

Sievers: Das hat sich parallel entwickelt: Zuerst gab es das Judentum, dann das Christentum und dann den Islam. Jede Religion ist aus der anderen entstanden und hat diese leicht modifiziert. Davor gab es mutterrechtliche Kulturen. Die monotheistischen Religionen mit einer männlichen Gottheit haben sich alle mit dem Untergang mutterrechtlicher Kulturen entwickelt. Man hat irgendwann begriffen, dass es einen Zusammenhang zwischen Sex und Fortpflanzung gibt. Dann wurde es wichtig, die Sexualität der Frau zu kontrollieren. In Ägypten gab es Göttinnen, die männlichen Gottheiten hatten gar nicht so die große Rolle, die Frauen, die die Kinder bekommen konnten, waren die Wunderwesen.

Style PASS online: Viele Vorschriften, die es auch im Judentum gibt, sind ja auch keine moralischen Vorschriften, sondern haben eher lebenspraktischen Ursprung.

Sievers: Welches Kind zu welchem Vater gehört, das wurde wichtig. Die rigorose Kontrolle der Sexualität gab es dann in allen drei monotheistischen Religionen. Im Alten Testament steht zwar, dass eine Ehebrecherin gesteinigt werden muss, aber die Juden praktizieren das nicht. Bei Muslimen gibt es das leider noch.

Style PASS online: Zurück zum Roman!

Sievers: Der Roman ist ein Roman. Ich mache da keine politischen Statements. Ich beschreibe das Leben einer ganz jungen Jüdin im 15. Jahrhundert, das sehr restriktiv abläuft: Sie muss machen, was ihr Vater sagt, sie wird vergewaltigt und muss alleine damit klarkommen. So geht es manchen Frauen im Iran noch immer. Denn sie hat Schande über ihre Familie gebracht.

Style PASS online: In Ihrem Buch kommt gerade der Buchdruck auf, parallel dazu werden Frauen als Hexen verfolgt.

Sievers: Sie wird als jüdisch Hexe verfolgt. Der Hintergrund ist, dass der Inquisitor sie sehr begehrt, er will sie besitzen! Dahinter steht ein eigenes Trauma der Figur. Aber dazu müsst Ihr das Buch lesen.

Style PASS online: Sie gehen tief in die Psychologie?

Sievers: Das habe ich mal studiert *lacht*

Style PASS online: Heute gibt es durch das Internet, Wikipedia und unser Schulsystem einen breiten Zugang zu Bildung. Müssten wir in Deutschland nun durch Wissen nicht eigentlich immun gegen Mythen, Diskriminierung, Ausgrenzung und Hysterien sein?

Sievers: Ich habe das Gefühl, dass die Leute leider immer dümmer werden. Zu der Aussage stehe ich und es gibt auch Studien, die das belegen. Ich komme zwar aus einer Arbeiterfamilie, wurde aus der Schule aber als hoch gebildeter Mensch entlassen, der mehrere Sprachen sprechen konnte. Das war damals nichts besonderes. Diese Bildungskultur gibt es nicht mehr. Man kann zwar leichteren Zugang zu Bildung bekommen, aber der Wert von Bildung steht nicht im Fokus. Wir haben auch noch gelernt, argumentieren zu können, auch diese Fähigkeit ist nicht mehr so da. Im Internet wird zwar die eigene Meinung kurz abgelassen, aber wirklich diskutiert wird nicht. Die Schwelle, wildfremde Menschen zu beleidigen, ist gesunken.

Style PASS online: Sie kritisieren eine gewisse Unfähigkeit von Menschen zu diskutieren, eine gewisse Medieninkompetenz?

Sievers: Ja, definitiv! Zudem: Eine gewisse Meinungspluralität ist nicht gefragt.

Style PASS online: Kleiner Themenwechsel: Sie setzen sich für Frauenrechte ein und kritisieren insbesondere Prostitution. Was sind hier Ihre Kritikpunkte? Manch einer interpretiert Prostitution ja Ausdruck weiblicher Selbstbestimmung!

Sievers: Die Mehrheit in Deutschland findet Prostitution gut. Die Zustände in der Prostitution sind allerdings bekannt und ich rede mir als Feministin seit Jahrzehnten den Mund fusselig. Ich finde Sexualität wichtig und schön und sehe in Prostitution eine Perversion von Sex. Sex sollte eine schöne, auf freiwilliger Basis, gleichberechtigte Sache sein. Diese Vorstellung, „Ich ertrage Sex nur, wenn ich dafür Geld kriege“, finde ich furchtbar. Wir haben uns an Prostitution gewöhnt und halten das für einen Normalzustand. Ich finde das nicht normal, denn Prostitution ist aus der Sklaverei entstanden. Über 99 Prozent der Sexkäufer sind Männer: Männer kaufen Frauenkörper! Das ist genauso „selbstbestimmt“ wie Kopftuchtragen. Wir brauchen einen anderen gesellschaftlichen Umgang mit Sexualität.

Style PASS online: Nimmt nicht auch die Beziehungsfähigkeit ab, wenn Männer das Bild der immer verfügbaren Frau durch Prostitution im Kopf haben?

Sievers: Das auch. Du kannst davon ausgehen, dass die meisten Freier meinen, dass den Prostituierten der Sex mit ihnen Spaß machen würde.

Style PASS online: Einfaches Weltbild!

Sievers: Das hängt auch mit der Pornographie zusammen, das gab es in meiner Jugend so noch nicht. Das macht vieles kaputt. Eine Konsumhaltung gegenüber Frauen. In Internetforen sieht man: Was heute im Bett von einer 14-Jährigen von einem 15-Jährigen erwartet wird, die Sachen kannten wir damals nicht mal. Der Junge hat was in einem Porno gesehen und das Mädchen meint, sie müsste das mitmachen.

Style PASS online: Sie würden sich als Feministin bezeichnen?

Sievers: Ja! Aber der Begriff Feminismus hat einen Wandel durchlebt. In den 70ern gab es Alice Schwarzer und die Frauen hatten eine klare Linie. Dass sich eine Feministin damals hingestellt und gesagt hätte: „Kopftuch und Prostitution sind Ausdruck von Selbstbestimmung!“, das gab es damals nicht. Da hätten die anderen Frauen damals gesagt: „Was sagt die da, die tickt ja wohl nicht ganz klar!“

Style PASS online: Ich habe manchmal das Gefühlt, dass Frauen aktuell ein Problem haben, sich selbstbewusst zu geben, eigene Standpunkte und Grenzen zu formulieren und auch offensiv ein Beziehungsmodell zu definieren, was sie gut finden. Stattdessen wird sich geflüchtet in ein seltsames, komisches Frauenbild, wo man sich selbst ein bisschen klein macht und das auch von anderen Frauen erwartet und Frauen, die das nicht machen, als „Feministin“ beschimpft. Es gibt viele Stereotype. Was ist Ihr Bild auf die Jugend?

Sievers: Ich kann mich mit dem Frauenbild der jungen Mädels nicht identifizieren. Alles ist rosa, das Spielzeug und Schminkkästen, das bescheuerte Barbierosa und das ganze Feenzeug. Mädchen werden in dieses Frauchenschema viel mehr gedrängt, als zu meiner Zeit!

Style PASS online: Das nächste Buchprojekt – wächst es bereits, im Kopf oder auf Papier oder im Computer?

Sievers: Ich habe einige Ideen im Kopf und das eine oder andere Manuskript, was noch nicht ganz fertig ist. Und klar: Oft geht es auch weiterhin um das Thema „Frauen“!

Vielen Dank für das Gespräch

Mein Gott, Maradona!

Im argentinischen Lanus leben zwar 250 000 Menschen, dennoch ist Lanus nur ein Vorort der Metropole Buenos Aires. Das Stadtbild dieses Vororts wird von zahlreichen Slums geprägt, den Villa Miserias. Dort, in Villa Frorito, wuchs Diego Maradona auf.

Von Paula Franke

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