Life & Body
Warum wird im Internet über einen sogenannten "Turbokrebs" spekuliert?
Die Onkologin Prof. Jutta Hübner, Universitätsklinikum Jena, steht nicht im Ruf, die Krankheit isoliert zu sehen. In Jena ist sie für "Integrative Onkologie" zuständig. Ein ganzheitlicher, patientenzentrierter Ansatz, der konventionelle Krebstherapien (wie Chemo- und Strahlentherapie) mit ergänzenden Verfahren wie Naturheilkunde kombiniert. Dabei soll durch die Kombination der Verfahren unter anderem Nebenwirkungen der Therapie abgefedert werden. Dabei liegt Hübners Fokus auf dem, was Patient+innen selbst tun können. Aktuell wird im Internet über einen sogenannten "Turbokrebs" spekuliert.
Worum geht es? Was steckt dahinter? Warum kochen bei diesem Thema die Emotionen hoch? Und was sagen Onkolgen dazu?
Style PASS konnte Hübner für ein Gespräch dazu gewinnen!
Style PASS: Im Internet verbreiten Menschen, darunter auch Mediziner+innen unterschiedlicher Fachrichtungen die These, die Covid-Impfungen habe zu einem Anstieg der Krebsfälle geführt, Krebstumore würden nun schneller wachsen. Meist subsummiert unter dem Begriff des "Turbokrebses".
Prof. Jutta Hübner: Der Begriff des "Turbokrebses" ist ein aus meiner Sicht extrem reißerischer Begriff. Wenn auch Mediziner+innen so etwas verbreiten, ist das für manche Medien unter Umständen ein gefundenes Fressen, weil es natürlich Aufmerksamkeit erzeugt. Diese Bezeichnung erklärt nicht, um was es sich eigentlich handeln soll. Mit den Meldungen zum sogenannten Turbokrebs wird vor allem eines erreicht: nämlich Angst verbreitet!
Style PASS: Die Covid-Impfung war für viele Menschen ja offenbar mit Angst verbunden, denn manche Menschen wollten sich ja nicht impfen lassen bzw. haben es auch nicht!
Es wird nun mit dem Turbokrebs diese Angst aus der Corona-Zeit aus meiner Sicht wieder aufgegriffen, dass die Impfung etwas ganz, ganz Schreckliches war. Dementsprechend hoch gehen nun die Emotionen bei dem Thema.
Style PASS: Eine Art Verschwörungstheorie?
Aus meiner Sicht schon. Jedenfalls würde ich die Behauptungen zum "Turbokrebs" in das Feld der Verschwörungstheoerien einordnen. Verschwörungstheoerien haben wir im Bereich der "Alternativmedizn" leider sehr häufig.
Style PASS: Was versteht man unter "Alternativmedizin"?
Das sind Verfahren, diagnostischer oder therapeutischer Natur, die nicht "evidenzbasiert" sind, also durch Studien untermauert werden in ihrer Wirkung, oder sogar - nachgewiesenermaßen - schädlich sind.
Style PASS: Wir möchten selbst nicht Verschwörungstheorien befeuern, möchten aber nochmal konkret darauf eingehen, was im Netz behauptet wird: Es soll sich dabei um schnell wachsende, aggressive Formen von u.a. Brust- und Lungenkrebs handeln. Style PASS ergänzt, dass hier insbesondere eine Pathologin in Erscheinung tritt, die rund 50 Krebsfälle ausgewertet hat. Vom Statistischen her nicht aussagekräftig, ergänzt Style PASS.
Ja, die Fallzahlen sind viel zu gering. Ich empfinde es als unseriös und es widerspricht auch ethischen Standards in der Medizin, aufgrund von ein paar Fällen, Rückschlüsse auf größere Zusammenhänge zu ziehen. Wenn ich dazu etwas sagen will, muss ich eine große Studie machen, die statistischen Wert, Aussagekraft hat. Dann muss ich zwei Gruppen haben und vergleichen: einmal Menschen, die sich haben impfen lassen und Menschen, die nicht geimpft wurden. Es gibt dazu keine Studie.
Style PASS: Krebserkrankungen hatten schon immer unterschiedliche Erscheinungsformen?
Es gab schom immer, bei jeder Krebsart, Ausformungen, die mit schnell wachsenden Tumoren und langsam wachsenden Tumoren verbunden waren. Dass nun durch die Covid-Impfung die Rate der schnell wachsenden Tumore zugenommen habe, davon ist mir nichts bekannt.
Style PASS: Die Pathologin stellt einen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Covid-Impfung und der Entstehung der Tumore her.
Aus einem zeitlichen Zusammenhang Rückschlüsse auf die Ursache zu ziehen, ist ebenfalls etwas, was keine Aussagekraft hat. Auch das müsste erst erforscht werden. Sich mit einer so geringen Fallzahl im Internet zu positionieren, empfinde ich als etwas, womit ich als Onkologin nichts zu tun haben möchte.
Style PASS: Die Pathologin bezeichnet die Covid-Impfung als "Spritze".
Was soll ich dazu sagen? Aus wissenschaftlicher Sicht gehört das Impfen zu den größten zivilisatorischen Fortschritten und ist ein großer Verdienst der Medizin. Dass wir jetzt nicht mehr diese ganzen schweren Krankheiten im Laufe eines Lebens durchmachen müssen, das ist doch großartig! Natürlich war der Corona-Impfstoff etwas ganz Neues. Es war eine schwierige und wichtige Entscheidung: nehmen wir den Impfstoff oder lassen wir die Epidemie laufen?
Style PASS: Letzteres wäre für Sie aus medizinischer Sicht keine Option gewesen?
Nein, das wäre keine Option gewesen. Die Epidemie wäre sonst in einer Katastrophe geändet. Es ist eine Erfolgsgeschichte der Medizin, dass wir die Epidemie so gut und so schnell stoppen konnten.
Style PASS: Kritik an der Impfung muss dennoch zugelassen werden?
Ja, natürlich. Wir müssen schauen: Was kann man verbessern? Ich hoffe, dass die Forschung läuft, aber im Internet Thesen zum "Turbokrebs" zu verbreiten und damit Leuten Ängste einzureden, empfinde ich als den falschen Weg und ist für mich auch keine seriöse Debatte.
Style PASS: Warum glauben manche Menschen dennoch an eine Verschwörungtheoerie im Bereich der Covid-Impfungen? Es wird dann ja teilweise quasi behauptet: Politik und Pharmaindustrie steckten unter einer Decke, es ginge nur ums Geld, die Impfung habe kaum Effekte gehabt, so schnell habe man sich mit Covid eh nicht antstecken können, alles überzogen und ein Eingriff in die Selbstbestimmungsrechte der Bürger+innen.
Ich kann nur vermuten, warum manche Menschen, darunter auch Mediziner+innen, an eine Verschwörungstheorie glauben. Eine Verschwörungstheorie setzt ja voraus, dass das neue Virus "benutzt" wurde, um den Impfstoff in den Markt zu drücken: um Geld zu verdienen! Dass Menschen keinen Vorteil von der Impfung hatten, sondern sogar geschädigt wurden. Das stimmt aus medizinischer Sicht nicht, denn man denke nur an die ersten dramtischen Bilder von Toten zum Beispiel in Italien, die gab es ja. Oder an die Konsequenzen für Menschen in Altenheimen, die keinen Besuch mehr bekamen etc.. Da müsste man als Verschwörungstheoretiker sagen: "Auch das hat sich irgend jemand ausgedacht!"
Style PASS: Laut Zahlen des Robert Koch Instituts, einer seriösen Quelle, gibt es nach Corona nicht mehr Krebstote als vor Corona. Soweit es uns die letzten Daten sagen.
Das würde ich jetzt einfach so stehen lassen.
Style PASS: Also wechseln wir ein bisschen das Thema und fokussieren uns auf Ihren Ansatz in der Onkologie. Gibt es sowas wie Krebsprävention? Kann man selbständig etwas tun, um das Risiko zu senken, an Krebs zu erkranken.
Da gibt es von mir ein sehr deutliches "Ja". Die gute Nachricht ist, dass Menschen selbständig viel tun können. Der enstcheidende Punkt ist der gesunde Lebensstil.
Style PASS: Also nicht rauchen?
Ja, definitiv nicht. Auch "moderne Formen" des Rauchens, wie Zigarettenersatz-Produkte, können unter Umstaenden krebserregend sein, da sie Nikotin enthalten.
Style PASS: Lieber Joggen statt Rauchen?
Es gibt wunderbare Schutzfaktoren gegen Krebs. Ja, Sport und körperliche Betätigung wirken präventiv. Auf dem Rezept sollte stehen: mehrfach die Woche, gerne Kraft- und Ausdauersport in Kombination, gerne eine dreiviertel Stunde. Das ist eine kleine Herausforderung, aber man kann Bewegung ja auch in den Alltag integrieren, also nicht mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren.
Style PASS: Du bist, was Du isst?
Ja, der zweite Schutzfaktor ist die Ernährung. Gesunde, ausgewogene Ernährung, das ist super. Ein bisschen vorsichtig sollte man mit den tierische Fetten sein. Auf keinen Fall irgendwelche komischen "Krebsdiäten". Auch Nahrungsergänzungsmittel bieten keinen zusätzlichen Vorteil.
Style PASS: Der Faktor Stress und Krebs, darüber ist das eine oder andere zu lesen. Gibt es Studien, die hier einen Zusammenhang herstellen?
Früher ging man davon aus, dass es einen Zusammenhang zwischen Stress und Krebs gibt. Beriet Patient+innen so, Entspannungsübungen zu machen, ihr mentales Mindset gegen den Krebs zu richten. Wenn man sich die Daten aber genau ansieht, stimmt das aus heutiger Sicht so nicht: Auch schwere Schicksalsschläge, wie der Tot eines lieben Menschen, individuell natürlich furchtbar für die Patient+innen, haben keinen Einfluss auf Krebs, soweit die Person ihre Lebensführung durch den Schicksalsschlag nicht negativ beeinflussen lässt.
Style PASS: Also auch hier: Der Umgang mit Krisen ist entscheidend?
Ja, die Menschen haben selbst viel in der Hand
Vielen Dank
